Tierwohl: Die „Fünf Freiheiten“ der Pferde

Längst haben die Diskussionen über Tierschutz und das Wohlbefinden der Tiere, kurz Tierwohl, auch den Bereich der Pferdehaltung erreicht. Was aber ist Tierwohl und wann kann man davon ausgehen, dass beispielsweise Pferde tiergerecht gehalten werden?

Ein Gastbeitrag von Dr. Cornelie Jäger, Landesbeauftragte für Tierschutz in Baden-Württemberg

Was bedeutet Wohlbefinden für Tiere. Letztlich ist es ein subjektiv definierbarer Zustand physischer und psychischer Harmonie des Tieres in sich und mit der Umwelt, frei von Schmerzen und Leiden, ohne Überforderung der Anpassungsfähigkeit, aber mit Befriedigung aller artspezifischer und individueller Haltungsbedürfnisse.

Dr. Cornelie Jäger, Tierschutzbeauftragte in Baden-Württemberg (©MLR-Baden-Württemberg)

Dr. Cornelie Jäger, Tierschutzbeauftragte in Baden-Württemberg hat ein Buch über Tierschutzrecht geschrieben (.s.u.). (©MLR-Baden-Württemberg)

Anschaulicher lässt sich Tierwohl anhand des Konzepts der „Fünf Freiheiten“ beschreiben, das bereits vor dreißig Jahren vom britischen Farm Animal Welfare Council (FAWC) entwickelt wurde. Dieses auch heute noch gültige Konzept unterstreicht, dass es integraler Bestandteil des Wohlbefindens von Tieren ist, normales, artgemäßes Verhalten entwickeln und auszuleben zu können. Werden die „Fünf Freiheiten“ erfüllt, dann kann man nach dem derzeitigen Wissenstand davon ausgehen, dass eine Tierhaltung tiergerecht ist.

[box]Die „Fünf Freiheiten“ …
1. Freisein von Hunger und Durst
2. Freisein von Unbehagen
3. Freisein von Schmerz, Verletzungen und Erkrankungen
4. Freisein von Angst und Stress
5. Freisein zum Ausleben normaler Verhaltensweisen
… werden zur Zeit besonders stark für die Haltung landwirtschaftlich genutzter Tiere diskutiert. In diesem Bereich wurden inzwischen Indikatoren etabliert, um die Tiergerechtheit konkreter Tierhaltungen systematisch erfassen zu können. Grundsätzlich lässt sich das Konzept der „Fünf Freiheiten“ aber auf alle Tierarten übertragen.[/box]

Damit eine Pferdehaltung tiergerecht ist und damit auch den Anspruch aus § 2 Tierschutzgesetz (die so genannte Tierhaltungsnorm) erfüllt, müssten also mindestens die folgenden Bedingungen gewährleistet sein:

Erste Freiheit – das Freisein von Hunger und Durst

Diese Freiheit benötigt ausreichend viele und ausreichend lange Zeiten zum Tränken und Füttern. Insgesamt sollten Pferde mindestens zwölf Stunden am Tag mit der Aufnahme von rohfaserreichem Futter verbringen, und die Fütterungspausen sollten nicht länger als vier Stunden andauern. Es muss sichergestellt sein, dass die Tiere in jedem Fall, also auch außerhalb des heimischen Stalls, mindestens drei mal am Tag bis zur Sättigung getränkt werden. Außer bei automatischen Fütterungssystemen benötigt jedes Tier einen Fressplatz. Darüber hinaus gehören gute Futter- und Wasserqualität sowie Sauberkeit am Fressplatz – auch bei Koppelhaltung – zu den Voraussetzungen für die erste Freiheit.

Zweite Freiheit – das Freisein von Unbehagen

Sie erfordert insbesondere geeignete, trockene, saubere Liegeflächen und Witterungsschutz auf den Koppeln. Der Witterungsschutz muss dabei so angelegt sein, dass auch rangniedrige Tiere nicht am Zugang gehindert werden. Bei der Unterbringung im Stall gehört zur zweiten Freiheit, dass Zugluft, Schadgase und Staubbelastung im Stall gering gehalten werden.

Dritte Freiheit – das Freisein von Schmerz, Verletzungen und Erkrankungen

Die dritte Freiheit setzt voraus, dass Halter nur ausreichend trainierte Pferde für die jeweilige Sportprüfung oder Arbeit (Kutschpferde, Rückepferde) einsetzen und dass sie das Überforderungsverbot nach § 3 TierSchG jederzeit beachten. Das Freisein von Schmerz, Verletzungen und Erkrankungen erfordert außerdem tägliche Tierkontrolle, regelmäßige Hufpflege und Gebisskontrollen, Impfungen und regelmäßige Entwurmung und das rechtzeitige Hinzuziehen eines Tierarztes bei Verletzungen und möglichen Erkrankungen (s. dazu auch § 4 TierSchNutztV).

Vierte Freiheit – das Freisein von Angst und Stress

Pferde auf winterlicher Koppel (Quelle: Dr. Cornelia Burger)

Pferde auf winterlicher Koppel (Quelle: Dr. Cornelie Jäger)

Schwieriger zu fassen sind die Voraussetzungen für die vierte Freiheit: Um Angst und Stress zu vermeiden, ist es mindestens erforderlich, die Tiere schrittweise an Trainingssituationen und andere Belastungen anzugewöhnen und geeignete, an das jeweilige Tier angepasste Ausrüstung für Training, Sport oder Arbeit einzusetzen. Zu beachten ist darüber hinaus das Verbot von Schlägen auf Kopf und Geschlechtsorgane (s. dazu Leitlinien für Tierschutz im Pferdesport/PDF-Download, die ausdrücklich auch für Arbeitspferde gelten) wie auch das Verbot elektrischer Treibhilfen. Für die temporäre oder permanente – dem physiologischen Verhaltensrepertoire sehr entgegenkommende – Gruppenhaltung gilt, dass genügend Raum und Ausweichmöglichkeiten angeboten werden müssen, so dass auch die rangniederen Tiere in ausreichender Distanz zu den Ranghohen ihren Bedürfnissen nachgehen können.

Fünfte Freiheit – das Freisein zum Ausleben normaler Verhaltensweisen

Sie bedeutet, dass Pferde als Herdentiere nicht einzeln gehalten werden dürfen. Nicht mit der fünften Freiheit vereinbar ist zudem die sogenannte Ständerhaltung, weil sie normales Liegeverhalten unmöglich macht. Außerdem erfordert die fünfte Freiheit, dass sich Pferde täglich frei bewegen dürfen, da andernfalls viele Verhaltensweisen (Wälzen, Sozialkontakte) nicht ausgelebt werden können.

Um festzustellen, ob die „Fünf Freiheiten“ tatsächlich erfüllt sind, könnten per Analogieschluss insbesondere tierbasierte Indikatoren eingesetzt werden, wie sie durch das internationale Welfare Quality®-Projekt für landwirtschaftlich genutzte Tiere beschrieben wurden.

[box]Ob, wie und wo sich diese tierschutzfachlichen Erfordernisse für eine tiergerechte Pferdehaltung im Tierschutzrecht wiederfinden, können Sie jetzt hier nachlesen:
Cornelie Jäger: Tierschutzrecht – Eine Einführung für die praktische Anwendung aus amtstierärztlicher Sicht; Richard Boorberg Verlag, 2015, EUR 24,80; ISBN 978-3-415-05539-1[/box]

weiterführende Quellen:
Leitlinien für Tierschutz im Pferdesport/PDF-Download – Stand 1992)
Stellungnahme und Ergänzung der Leitlinien durch die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (PDF-Download – 2014)

 

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