Leicht übertragbare mcr-1-Colistin-Resistenz auch in Deutschland

Colistin wird in der Veterinärmedizin häufig beim Schwein oral gegeben, um Salmonellen- oder E. coli-bedingte Enteritiden zu behandeln. (Foto: ©WiSiTiA/hh)Colistin wird in der Veterinärmedizin häufig beim Schwein oral gegeben, um Salmonellen- oder E. coli-bedingte Enteritiden zu behandeln. (Foto: ©WiSiTiA/hh)

Entdeckt wurde das äußerst mobile Colistin-Resistenzgen mcr-1 im vergangenen Jahr in China. Daraufhin untersuchten weltweit Behörden ihre Rückstellproben. Jetzt bestätigt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) die Resistenz auch für Deutschland. Flammt damit die Debatte um die Einstufung von Colistin als „Reserveantibiotikum für die Humanmedizin“ neu auf? 

von Jörg Held

Die Nachweis der auf einem Plasmid liegenden und damit leicht zwischen Bakterien übertragbaren mcr-1-Colistin-Resistenz in Deutschland könnte politische Auswirkungen haben. Aktuell wird vor der Grünen Woche wieder verstärkt über den Einsatz sogenannter „Reserveantibotika“ in der Veterinärmedizin debattiert. Die Colistin-Resistenz steht auch auf der Tagesordnung der Amtschef-Konferenz (ACK) der Länderagrarministerbei in der nächsten Woche in Berlin.
Im aktuellen „Eckpunktepapier“ des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL), das Vorschläge macht, wie der Einsatz von “Antibiotika mit besonderer Bedeutung” zu regulieren sei, ist Colistin aber (noch) nicht aufgeführt. Doch auch im BMEL beobachtet man die Entwicklung.

Polypeptid-Antibiotika (Colistin) liegen bei der deutschen Abgabemengenerfassung konstant auf Platz 4. (Tabelle: ©BVL

Polypeptid-Antibiotika (Colistin) liegen bei der deutschen Abgabemengenerfassung konstant auf Platz 4. (Tabelle: ©BVL

In Deutschland wird das vergleichsweise alte Polypeptid-Antibiotikum Colistin in der Nutztierhaltung häufig zur Behandlung von Darminfektionen bei Geflügel und Schweinen eingesetzt. In der Abgabemengenerfassung 2014 liegen die Polypeptid-Antibiotika mit 107 Tonnen auf Platz vier von 18 in der Veterinärmedizin eingesetzten Antibiotikaklassen (siehe Tabelle).

mcr-1 Resistenzfunde in Deutschland

Das BfR meldet nun, dass im November 2015 erstmalig in China nachgewiesene übertragbare Resistenzgen mcr-1 sei auch in Darmbakterien von Nutztieren in Deutschland weit verbreitet. Man habe, so erläutert Dr. Annemarie Käsbohrer gegenüber wir-sind-tierarzt.de, bis ins Jahr 2012 zurückreichend gezielt Isolate mit einer bestehenden Colistin-Resistenz auf mcr-1 untersucht. Dabei wurde „relativ häufig“ der neue Resistenz-Mechanismus nachgewiesen, am häufigsten bei Escherichia coli von Mastgeflügel.
Auch der Forschungsverbund RESET hat vorhandene Gensequenzierungen untersucht, allerdings überwiegend von ESBL-Isolaten bis zurück ins Jahr 2011. Hier waren vergleichsweise wenige Geflügelproben dabei. Gefunden haben die Wissenschaftler die mcr-1-Resistenz in drei Schweine-Isolaten, sowie in dem multiresistenten Isolat eines Menschen aus dem Jahr 2014. In allen vier Fällen fanden sich zudem weitere Resistenzen, was die Optionen für eine antibiotische Behandlung noch stärker einschränkt.
Aussagen zum Ausmaß der Verbreitung, zu möglichen Übertragungswegen oder zur Richtung der Übertragung von Mensch auf Tier oder umgekehrt könnten damit aber noch nicht getroffen werden, teilte RESET mit.
Beide Untersuchungen belegen, dass dieses Resistenzgen mindestens seit dem Jahr 2011 in Deutschland vorkommt und somit die Möglichkeit einer Übertragung auf den Menschen seit mehreren Jahren besteht.

Humanmedizin: Colistin als „Last Ressort Antibiotikum“ trotz Nebenwirkungen

In der Humanmedizin erlebt Colistin – trotz erheblicher Nebenwirkungen – seit einigen Jahren eine Renaissance als eine letzte verbliebene Therapieoption, speziell bei Infek­ti­o­nen mit Carbapenem-resistenten Enterobakterien (Escherichia coli, Klebsiella pneu­mo­niaeu.a.) oder Acinetobacter baumanii – wenn diese gegen andere, für den Menschen besser verträgliche, Antibiotika unempfindlich sind.

Das Thema Colistin-Resistenz erregt weltweit Aufmerksamkeit: Hier ein Übersichtsartikel aus der Washington Post.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ordnet die Substanz in die zweitwichtigste von vier Antibiotika-Klassen ein, die der „Critically im­por­tant anti­biotics for human medicine“ (siehe auch Kasten unten). Die Arzneimittelagentur der Europäischen Union (EMA) hatte in einer Stellungnahme (2013) den weiteren Colistin-Einsatz in der Veterinärmedizin für akzeptabel erklärt. Allerdings war zum damaligen Zeitpunkt „…kein horizontal zwischen Bakterien über­trag­barer Resis­tenz­mecha­nis­mus bekannt.” (u.a. Bericht der EMA, S. 14). Sobald hierzu Erkenntnisse vorliegen, müssten die Risiken neu bewertet werden, schrieb die EMA.
(Nachtrag 11.1.2016: EMA kündigt Neubewertung des Colistin-Einsatzes in der Nutztierhaltung an.)

Colistin wird in der Veterinärmedizin häufig beim Schwein oral gegeben, um Salmonellen- oder E. coli-bedingte Enteritiden zu behandeln. (Foto: ©WiSiTiA/hh)

Colistin wird in der Veterinärmedizin häufig beim Schwein oral gegeben, um Salmonellen- oder E. coli-bedingte Enteritiden zu behandeln. (Foto: ©WiSiTiA/hh)

„Intensive Resistenzüberwachung in Deutschland nötig“

Das BfR erklärt in seiner Meldung zur Colistin-Resistenz, dass der Anteil Colistin-resistenter Bakterien-Isolate von Nutztieren in den letzten Jahren in Deutschland nicht angestiegen sei, obwohl es das mcr-1-Gen anscheinend seit Jahren in Deutschland gibt.
Ob die übertragbare Antibiotikaresistenz bei der Behandlung von Infektionskrankheiten des Menschen eine Rolle spiele, müsse nun auf der Seite der Humanmedizin erforscht werden. „Die aktuellen Ergebnisse bestätigen erneut, dass die Strategie eines verantwortlichen Einsatzes von Antibiotika weiter konsequent verfolgt werden muss“, sagte Professor Andreas Hensel, Präsident des BfR. „Diese sollte im Sinne eines One-Health-Ansatzes alle Wirkstoffgruppen in der Tier- und in der Humanmedizin einbeziehen.“ Ziel ist es den Einsatz soweit möglich zu reduzieren, um den Selektionsdruck zu senken.
Das Robert Koch Institut (RKI) sieht eine „prinzipielle Gefahr der Plas­mid-vermittelten Verbreitung einer neuartigen über­trag­ba­ren Colistin-Resis­tenz“. Deshalb sei eine intensivierte Überwachung der Resistenz­si­tu­a­tion im veterinär- wie auch im humanmedizinischen Bereich nötig, um einen Überblick über die aktuelle Lage in Deutschland zu erhalten.

mcr-1 – erster Nachweis in China

Ein Beitrag im Fachmagazin The Lancet Infectious Diseases hatte im November 2015 den Nachweis des neuartiges Resistenzgen mcr-1 bei einem Nutztier in China beschrieben. In Experimenten ließ sich das Plasmid mit einer hohen Frequenz auch auf Isolate anderer Spezies (Klebsiella pneumoniae, Pseudo­mo­nas aeru­gi­nosa) konjugativ übertragen, wodurch diese in vitro Colistin-un­emp­find­lich wur­den. Untersuchungen zur Verbreitung fanden Bakterien mit dem mcr-1-Gen in China sowohl beim Menschen, als auch bei Tieren und Lebensmitteln. Die Autoren führten das Vorkommen dieses Gens auf den häufigen Einsatz von Colistin in der chinesischen Tierhaltung zurück.

Weltweite Verbreitung

Dänische Behörden hatten Anfang Dezember 2015 über den Nachweis des Gens im eigenen Land und auch in Proben von Geflügelfleisch aus Deutschland berichtet. Auch Untersuchungen in England und in den Niederlanden verliefen positiv. Aktuell meldet Canada den Fund des mcr-1-Resistenzgens. Damit dürfte klar sein, dass die Resistenz bereits seit einigen Jahren weltweit verbreitet ist.

Welches Antibiotikum fällt in welche WHO-Kategorie?

  • „Highest Priority Critically Important“ – zu dieser Gruppe der aus WHO-Sicht absolut wichtigsten Antibiotika gehören vier Wirkstoffe: die Fluorchinolone, die Cephalosporine der 3. und 4. Generation und – für manche überraschend – die Makrolide sowie die Glykopeptide.
  • „Critically Important“ – hier stuft die WHO 15 Wirkstoffklassen ein, darunter die vier oben genannten – die ja nur noch einmal gesondert hervorgehoben wurden – sowie alle in der Veterinärmedizin eingesetzten Penicilline, Aminopenicilline und Aminoglykoside. Aber auch die relativ „neuen“ Carbapeneme, die in der Tiermedizin nicht verwendet werden (dürfen), sind hier eingeordnet (vollständige WHO-Tabelle ab Seite 9ff in diesem Dokument). Auch Colistin (ein Polymyxin) wurde 2011 aufgrund fehlender Behandlungsalternativen in der Humanmedizin von der WHO in diese critically-Kategorie “hochgestuft”.
  • “Highly Important” – sind für die WHO u.a. Amphenicole, Sulfonamide und Tetracycline.
  • “Important” sind alle anderen Antibiotika.

Einen ausführlichen Artikel zur WHO-Einstufung der Antibiotika finden Sie hier

(weitere) Quellen:
Pressemeldung des BfR (7.1.2016)
Einschätzung des Robert-Koch-Institutes (18.1.2016 / der ursprüngliche Link vom 18.12.2015 existiert nicht mehr)

Lancet-Veröffentlichung über den Erstfund in China (11/2015)
Meldung über Funde in Canada (5.1.2016)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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