Kreisveterinäre warnen vor hochgiftigem Colchizin

Herbstzeitlose (Foto: © Henrik Hofmann)

Im Westerwald verendeten vier Kühe. Der Verdacht einer Amtstierärztin bestätigte sich: Colchicin, das Gift der Herbstzeitlosen war die Ursache. Die Pflanze ist tödlich giftig – auch für Menschen – und kann leicht mit einer Speisepflanze verwechselt werden.

(hh) – In der Leber eines der Tiere stellte die Ludwig-Maximilian-Universität München Colchicin fest – das Gift der krokusartig blühenden Pflanze mit dem wissenschaftlichen Namen Colchicum autumnale. Den Tod der vier Kühe nimmt die Kreisverwaltung des Westerwaldkreises zum Anlass, vor der Vergiftungsgefahr durch die Herbstzeitlose zu warnen.

Ein Landwirt hatte Ende August drei Kühe einer 50-köpfigen Mutterkuhherde tot auf der Weide gefunden. Die amtstierärztliche Besichtigung der Tierkadaver sowie der betreffenden Weide ergab keinerlei Hinweise auf die Todesursache, ebenso wie die Sektion einer verendeten Kuh im Landesuntersuchungsamt Koblenz. Den Verdacht auf Colchicin-Vergiftung äußerte die Amtstierärztin Kerstin Oelze, nachdem sie weiterer Weidestandorte untersuch hatte. Sie fand in der unmittelbaren Nähe einige Herbstzeitlose. Die daraufhin in Auftrag gegebene toxikologische Untersuchung bestätigte den Verdacht.

Risiko: Konserviertes Futter

Die Kollegen vermuten, dass die Vergiftung in diesem Fall nicht durch die unmittelbare Aufnahme der Giftpflanze, sondern aufgrund der Zufütterung von Heu oder Grassilage mit Anteilen von Herbstzeitlose zustande gekommen ist. Während Rinder und andere Tiere auf der Weide um die Blüten meist einen Bogen machen, erkennen sie die Pflanzenbestandteile in konservierten Futtermitteln, wo das Gift jahrelang seine Wirkung behält, nicht.

„Nackte Jungfrau“

Blühende "Herbstzeitlose" – die Pflanze enthält giftiges Colchizin. (Foto: ©WiSiTiA/hh)

Blühende „Herbstzeitlose“ – die Pflanze enthält giftiges Colchizin. (Foto: ©WiSiTiA/hh)

Die Herbstzeitlose treibt im Herbst, also „außerhalb der Zeit“. Daher stammt der Name. Ihre Blüten sind rosafarben bis hellviolett. Zu diesem Zeitpunkt hat sie bereits keine Blätter mehr, weshalb sie in früheren Zeiten auch als „Nackte Jungfrau“ bezeichnet wurde und als Symbol der Unkeuschheit galt.

Colchicin: Besonders gefährlich für Schweine und Pferde

Alle Teile der Pflanze enthalten das Alkaloid Colchicin, auf das Pferde und Schweine noch empfindlicher reagieren als Rinder. Schafen und Ziegen schadet es kaum. Menschliche Vergiftungsfälle können vor allem bei Kindern vorkommen, die sich nach Kontakt mit der Pflanze, etwa wenn sie die reife Fruchtkapsel als Rassel verwenden, nicht die Hände waschen, oder durch Verwechslung der Blätter mit denen des essbaren Bärlauchs.

Mitose-Gift

Colchizin stört die Ausbildung von Spindelfasern, indem es an freie Mikrotubuli-Untereinheiten bindet und diese so nicht mehr für den Spindelfaseraufbau zur Verfügung stehen. Weil der Spindelapparat fehlt, kommt es nicht zur korrekten äquatorialen Ausrichtung der Chromosomen, wie es in der Metaphase normalerweise der Fall ist. Auch das Aufteilen der Schwesterchromatiden in der Anaphase unterbleibt. Es entstehen nicht lebensfähige Zellen ohne Kern, sowie polyploide Zellen, die ebenfalls absterben. Colchizin ist damit giftig für alle Organe, besonders für diejenigen mit hoher Zellteilungsrate wie die Zellen des Magen-Darm-Trakts oder des Knochenmarks. Die Folge sind beim Menschen choleraartige Bauchschmerzen mit Durchfall und Erbrechen. Im schlimmsten Fall kommt es zum Multi-Organ-Versagen. Ein Gegenmittel / Antidot gibt es nicht.

Herbstzeitlose sind mehrjährig und deshalb nicht auf jährliches Aussamen angewiesen. Ihre Bekämpfung auf Weiden kann sich somit schwierig gestalten. Das Ausstechen der Einzelpflanzen Anfang Mai, über zwei bis drei Jahre durchgeführt, gilt als sichere Methode, dem Problem nachhaltig Herr zu werden. Bei Massenvorkommen empfiehlt die Kreisverwaltung, sich mit den Pflanzenbauberatern des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum in Montabaur in Verbindung zu setzen.

Quellen:
Mitteilung des Westerwaldkreises
Nassauische Neue Presse
„Tödliches Grün“, Thieme

Beitragsbild: Blühende Herbstzeitlose © WiSiTiA/hh

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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