Putenhaltung: Streit um „Diffamierung“ unter Deckmantel der Verbandsklage

Gegen den Neubau eines „klassischen konventionellen Putenstalls“ im Kreis Warendorf in Nordrhein-Westfalen (NRW) erhebt der Deutsche Tierschutzbund Einwände und will, sollten diese nicht beachtet werden, eine Verbandsklage einreichen. Die Tierschützer sehen diesen Schritt als Signal: Sie wollen prüfen lassen, ob konventionelle Putenställe unter Tierschutzgesichtspunkten überhaupt noch genehmigungsfähig sind. Die Geflügelwirtschaft protestiert scharf. (erstellt: 17.8.2015 / aktualisiert: 18.8.2015)

Inzwischen hat der Deutsche Tierschutzbund Klagebegründung beim Verwaltungasgericht Münster eingereicht (11.5.2016)

(jh/PM) – Trotz Neubau würden in dem „klassischen konventionellen Putenstall“ im Kreis Warendorf in Nordrhein-Westfalen (NRW) die Puten auf engstem Raum ohne Außenbereiche, mit unzureichenden Beschäftigungsmöglichkeiten und ohne Ruheplätze leben müssen. Aus Sicht der Tierschützer widerspricht eine solche Putenhaltung dem Tierschutzgesetz, heißt es in einer Pressemitteilung.
„Die vorgesehene Putenhaltung wäre tierschutzwidrig und nicht artgerecht. Wir haben nun umfangreiche Einwendungen eingereicht, weil wir im Grundsatz geklärt wissen wollen, ob solche Stallanlagen überhaupt noch genehmigungsfähig sind. Sollten diese Einwendungen nicht beachtet werden, gehen wir die weiteren Schritte bis zur Verbandsklage. Das gilt jetzt hier in Nordrhein-Westfalen, wir hoffen aber auf Signalwirkung auch auf andere Länder“, sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes.

Freiwillige Vereinbarungen statt einer Putenhaltungsverordnung

Der Tierschutzbund bemängelt: Bisher gebe es keine gesetzliche Grundlage zur Haltung von Puten, lediglich freiwillige Vereinbarungen und den groben Rahmen des Tierschutzgesetzes. In Deutschland leben jährlich etwa 37 Millionen Puten in konventioneller Haltung. Sie würden häufig zu mehreren Zehntausenden in Ställen zusammengepfercht. Erlaubt sind dabei laut der freiwilligen Vereinbarung der Putenwirtschaft bis zu 52 bzw. 58 Kilogramm pro Quadratmeter Bodenfläche; das sind etwa drei Hähne bzw. fünf Hennen.

Aufgrund der Zucht auf hohe Mastendgewichte und einen hohen Anteil an Brustmuskelfleisch (Putenbrust) leiden die Tiere laut Tierschutzbund unter Gleichgewichtsstörungen, schmerzhaften Fehlstellungen und Degenerationen der Beine. Der Platzmangel, die strukturlose und enge Umgebung sowie die angezüchteten Probleme des Bewegungsapparates verhinderten, dass Puten ihr arteigenes Verhalten ausleben können. Die Folgen sind Schmerzen und Leiden sowie massive Verhaltensstörungen, wie Federpicken und Kannibalismus, die bis zum Tod der Puten führen können.
Der Deutsche Tierschutzbund weist außerdem darauf hin, dass in den konventionellen Stallbauten Tiere eingesetzt würden, „die die Kriterien einer Qualzucht erfüllen“.

Geflügelhalter weisen „Diffamierung“ zurück

Als „pauschale Diffamierung“ bezeichnet wiederum der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) diese Vorwürfe. Die deutschen Vorgaben für die Putenhaltung seien im europäischen Vergleich hoch und schützten die Tiere. Die erst Ende 2013 novellierte freiwillige Puten-Eckwerte-Vereinbarung sei ein verbindlicher, konkreter und rechtsähnlicher Haltungsstandard. Gemeinsam habe die deutsche Putenwirtschaft dabei in Zusammenarbeit mit Tierschutzorganisationen – der Deutsche Tierschutzbund sei eingeladen gewesen, habe aber nicht mitwirken wollen –, Wissenschaftlern und Behörden auch zusätzlich ein Gesundheitskontrollprogramm etabliert.
Der ZDG sieht durch solche „pauschale Diffamierung im Kontext eines Baugenehmigungsverfahrens“ die Befürchtung bestätigt, dass „das Instrument der Verbandsklage von Tierschutzorganisationen missbräuchlich eingesetzt werden könnte, um die Nutztierhaltung in Deutschland insgesamt auszubremsen.“

Hintergrund Verbandsklage

Möglich ist die Einwendung der Tierschützer dank des Verbandsklage- und Mitwirkungsrechts für anerkannte Tierschutzorganisationen in NRW. Eine solche Tierschutz-Verbandsklage ist mittlerweile in sieben Bundesländern möglich und ihre Einführung steht in mehreren anderen Bundesländern auf der politischen Agenda. Klagen können Tierschutzverbände aber nur, wenn sie in dem jeweiligen Bundesland als klageberechtigt anerkannt sind. Aus Sicht der Verbände hilft das Klagerecht geltendes Tierschutzrecht durchzusetzen und einen Ausgleich zwischen den Interessen von Tiernutzern und dem Tierschutz herzustellen.

Bundesländer mit einem Verbandsklagerecht sind:

  • Bremen (2007)
  • Hamburg, Nordrhein-Westfalen und das Saarland (2013)
  • Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein (2014)
  • Baden-Württemberg (Mai 2015)

Quellen:
Pressemeldung des Deutschen Tierschutzbundes (17.8.2015)
Hintergrundseite „Verbandsklage“ des Deutschen Tierschutzbundes
Pressemeldung des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (18.8.2015)

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