Humanärzte fordern: „Reserveantibiotika“ für die Tiermedizin verbieten

Titelblatt des Beschlussprotokolls des 118. Deutschen Ärztetages. (© Bundesärztekammer)Titelblatt des Beschlussprotokolls des 118. Deutschen Ärztetages. (© Bundesärztekammer)

Runder Tisch und „One-Health“-Ansatz Fehlanzeige. Die Humanärzteschaft setzt in der Frage der Antibiotikareduktion weiter auf Schuldzuweisungen und Frontenbildung: Tiermediziner gefährdeten die Gesundheit von Menschen. Nachzulesen in zwei Beschlüssen des 118. Deutschen Ärztetages. Der will Tierärzten den Einsatz bestimmter antibiotischer Wirkstoffe verbieten lassen und operiert noch dazu mit alten und falschen Antibiotikaverbrauchszahlen. Warum?

eine Einordnung von Jörg Held

Der 10-Punkte-Plan von Bundesgesundheitsminister Dr. Herman Gröhe zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen muss die Humanmediziner schwer getroffen haben, nimmt er doch auch ihre Profession für den Anstieg antimikrobieller Resistenzen in die Pflicht. Auf dem 118. Deutschen Ärztetag in Frankfurt verwahrten sie sich gegen „unzureichende Schlussfolgerungen“ der ministeriellen Empfehlungen (etwa „mehr Fortbildung“) und versuchten es stattdessen mit Schuldzuweisungen und Verbotsforderungen für die Tiermedizin.

Tierärzte gefährden Menschen?

Im ersten Beschluss der Humanmediziner heißt es: Die Tierärzte „erschwerten die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte“, indem sie in der Tiermast mehr als doppelt so viel Antibiotika einsetzten – „nämlich über 1.700 Tonnen im Vergleich zu 800 Tonnen in der Humanmedizin“. Dadurch steige die Entwicklung von Resistenzen, „was wiederum die Gesundheit von Menschen gefährdet“.
Dabei hält der Ärztetag 2015 den Tiermedizinern offenbar bewusst (s.u.) veraltete Mengenangaben von 2011 vor (1.706 Tonnen). Die aktuellsten Zahlen aus 2013 liegen 254 Tonnen niedriger.
Schlimmer als Zahlenspiele ist aber, dass ein Ärztetag die zentralen Aussagen des Bundesinstitutes für Risikobewertung (BfR) ignoriert, die eindeutig feststellen, dass zum Beispiel 95 Prozent der MRSA-Keime, die der Humanmedizin in Kliniken so erheblich Probleme bereiten, humanassozierte Stämme sind – und nur unter fünf Prozent der Keime aus Ställen stammen (laMRSA). Bei den ESBL-Bildnern ist das Verhältnis nicht so eindeutig, die Resistenzgene sind deutlich mobiler. Der Anteil der tiermedizinischen Verantwortung ist hier höher. Dennoch hat BfR-Präsident Prof. Andreas Hensel deutlich formuliert: „Die Antibiotikaresistenzprobleme der Humanmedizin sind nicht im Stall zu lösen.“

Deshalb gilt – bei allem von der Tierärzteschaft unbestrittenem und dringend notwendigem Verbesserungspotential beim Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin: Die Hauptverantwortung für die Resistenzen in der Humanmedizin trägt diese selbst durch ihren eigenen Antibiotikaeinsatz. Ein klares Bekenntnis zu dieser eigenen Verantwortung bei der Resistenzentwicklung lässt der 118. Deutsche Ärztetag aber vermissen.

Ärztetag: Veterinäre verbrauchen „Reserveantibiotika“

Wie zum Beweis dafür attackiert dann auch ein zweiter Beschluss der Humanmediziner die Tierärzte mit einer Verbotsforderung: Der Gesetzgeber solle der Veterinärmedizin „den Verbrauch von Fluorchinolonen und Cephalosporinen 3./4. Generation verbieten oder auf klar umgrenzte Einzelfälle einschränken“.
Die Wortwahl ist aggressiv: Als ob Tierärzte Medikamente sinnlos „verbrauchen“ und nicht damit ihre Patienten behandeln würden?
Mit ihrer Verbotsforderung und der maximalen „Einzelfall-Einschränkung“ gehen die Humanmediziner sogar weiter als die Agrarministerkonferenz der Bundesländer. Die hatte eine abgestufte Einschränkung des Einsatzes sogenannter „Reserveantibiotika“ in der Tiermedizin auf den Weg gebracht – strebt aber kein Totalverbot an. Damit erkennt die Politik Fakten an, deren Kenntnis eigentlich Medizinern gut zu Gesicht stehen würde – etwa, dass es Tierarten (Heimtiere) gibt, die bei der Behandlung auf diese antibiotischen Wirkstoffe unverzichtbar angewiesen sind.
Mit der pauschalen „Verbotsforderung für die Veterinärmedizin“ übernimmt der 118. Deutsche Ärztetag unreflektiert eine politische Forderung von Bündnis 90/Die Grünen.

Ärztetag ignoriert eigene Verantwortung

Dieser zweite Beschluss zeigt übrigens auch, dass der 118. Deutsche Ärztetag sehr wohl die aktuellen BVL-Zahlen aus dem Jahr 2013 zu kennen glaubt, denn er begründet seine Verbotsforderung mit daraus abgeleiteten knackigen Prozentzahlen: Plus 60 Prozent Anstieg beim Einsatz von Fluorchinolonen; plus 20 Prozent mehr „Verbrauch“ von Cephalosporinen (3./4. Generation). Aber auch hier arbeiten die Ärzte mit falschen (Prozent)Zahlen: Der tatsächliche Anstieg bei Fluorchinolonen betrug 50 Prozent, der bei den Cephalosporinen 8,6 Prozent (siehe BVL-Daten).
Was die Humanmediziner ebenfalls nicht sagen – hinter ihren „hohen“ Prozentwerten stehen diese absoluten Zahlen:

Ironischer Weise ist diese enorme Menge – in Worten: fast fünfzig Prozent des humanmedizinischen Antibiotkaeinsatzes machen als „Reserve“ bezeichnete Antibiotika aus – in der Entschließung auch noch mit dem Adjektiv „unverzichtbar“ vermeintlich legitimiert. Nach einem DAK-Report sind dagegen etwa 30 Prozent der humanmedizinischen Antibiotikaverordnungen unnötig.
Ein fachliche Auseinandersetzung mit einem weltweiten Resistenzproblem sieht für mich anders aus.

Attacken der Humanmedizin: Abwehrreflex gegen politische Meinungsänderung?

Will den Antibiotikaeinsatz der Tierärzte untereinander vergleichen – die Deutsche Antibiotikaresistenzstrategie 2020. (Foto: © BMEL/James Gathany)

Will den Antibiotikaeinsatz bei Mensch und Tier gemeinsam reduzieren – die Deutsche Antibiotikaresistenzstrategie 2020. (Foto: © BMEL/James Gathany)

Bleibt die Frage: Warum diese Attacke auf die Tiermedizin? Nachdem schon der 72. Bayerische Ärztetag 2013 und der 117. Deutsche Ärztetag 2014 Schuldzuweisungen in Richtung „Massentierhaltung“ und Tierärzteschaft „beschlossen“ hatten, sieht es fast nach der nächsten Stufe einer geplanten Eskalation aus?
Dabei hatte der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) 2014 bei der Bundesregierung einen runden Tisch der Mediziner angeregt und war auf Zustimmung gestoßen. Auch gab es Spitzengespräche der human- und tierärztlichen Verbände, bei denen man sich auf mehr gegenseitige Wissensvermittlung verständigt hatte. So wird es zum Beispiel auf dem bpt-Kongress im kommenden Herbst in München ein gemeinsames von Human- und Tiermedizinern gestaltetes Symposium „Antimikrobielle Resistenzen“ geben. Am 1. Juli steht ein gemeinsames Fachgespräch in Berlin an, Titel: Antibiotika in der Medizin – „Eine Gesundheit“ für Mensch und Tier. Einlader ist die CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Politik nimmt auch Humanärzte in Verantwortung

Das alles aber scheint zumindest einige Humanmediziner nicht anzufechten, weiter Anträge mit Schuldzuweisungen zu formulieren – und der 118. Deutsche Ärztetag folgte ihnen.
Womöglich ist es aber auch nur ein Abwehrreflex? Die Bundesregierung hat mit dem Gröhe-Papier zur Resistenzminimierung, vor allem aber mit der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie 2020 (DART 2020) deutlich gemacht: Sie will das Resistenzproblem national und international angehen und dabei keine Berufsgruppe aus der Verantwortung entlassen – weder Humanmediziner, noch Tierärzte oder Landwirte. Dies war auch die explizite deutsche Position auf dem G7-Gipfel in Elmau. Die Politik setzt dabei richtigerweise auf den One-Health-Ansatz. Das heißt: Resistenzprobleme lassen sich nicht durch Schuldzuweisungen lösen, sondern müssen von Veterinär- und Humanmedizin gemeinsam angegangen und jeweils für den eigenen Verantwortungsbereich gelöst werden.
Die Vorgaben für die Tiermediziner sind dabei deutlich schärfer, immerhin regelt ein eigenes Gesetz (16. AMG-Novelle) die staatlich vorgegebene Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung.
In Richtung humanmedizinische Verordnungsreduzierungen gibt es dagegen eher weiche Forderungen (siehe DART 2020). Es lässt da schon tief Blicken, dass ein Ärztetag nicht die politische Größe hat, diese vergleichsweise harmlosen Anforderungen offensiv anzunehmen und stattdessen Schuldzuweisungen formuliert.

Statements der Präsidenten von BTK und bpt zu den Ärztetagsbeschlüssen finden Sie hier

Quellen und weiterführende Links:
Zuerst berichtete VETimpulse (Ausgabe 12/2015) über die Ärztetagsbeschlüsse – keine online-Version abrufbar

Entschließung I-17 des 118. Dt. Ärztetages 2015 (PDF-Download): Tonnenvergleich Antibiotikaeinsatz Human/Tiermedizin
Entschließung  I-43 des 118. Dt. Ärztetages 2015 (PDF-Download): Cephalosporine 3./4. Generation und Fluorchinolone für Veterinärmedizin verbieten
Am 24. Juni hat der bpt hier eine offizielle Stellungnahme zu den Ärztetagsbeschlüssen veröffentlicht.

Entschließung VII-42 des 117. Dt. Ärztetages 2014 (PDF-Download): Tonnenvergleich Antibiotikaeinsatz Human/Tiermedizin
Reaktion des bpt auf den Beschluss des 117. Deutschen Ärztetages – Aufforderung zum „runden Tisch“ (6/2014)Reaktionen auf den bpt-Apell zu einem „runden Tisch“ (8/2014)

Entschließung des 72. Bayerischen Ärztetages 2013 (PDf-Download): Votum gegen die Massentierhaltung

BfR-Einordnung Antibiotikaresistenzen in Human-/(Nutz)Tiermedizin (1/2015 – PDF-Download)
BVL-Angaben zum Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin in Tonnen („DIMDI“-Zahlen – 8/2014)
DAK-Antibiotika-Report 2014 (PDF-Download)

Berichte auf wir-sind-tierarzt.de

Deutsche Antibiotikaresitenzstrategie 2020 und die Auswirkungen für Tierärzte (13.5.2015)
Agrarminister-Beschluss zur Einschränkung sogenannter „Reserveantibiotika“ in der Tiermedizin (24. März 2015)
Welche Tierarten – insbesondere Heimtiere – auf sogenannte „Reserveantibiotika“ angewiesen sind (19. März 2015)
Mengenberechnung Antibiotikaeinsatz in Human-/Tiermedizin (1/2015)

 

Teilen
Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)