Videointerview der Bundeskanzlerin zum Antibiotikaeinsatz: Falsch – zu kurz – zu oft

(jh) – In einem offiziellen Video der Bundesregierung (siehe Textende) äußert sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Antibiotika-Einsatz in Deutschland und der Welt. Anknüpfungspunkt ist die Deutsche Antibiotika Resistenzstrategie. Merkels Kernaussage: Wir brauchen einen „Eine-Gesundheits-Ansatz“ und „dürfen nicht in Schablonen ‚hier der Mensch und da das Tier‘ denken“, denn: Antibiotika würden zu oft, zu kurz und damit falsch eingesetzt.

In den Grundaussagen zum Antibiotikaresistenzproblem  ist die Kanzlerin im Videointerview klar. Nur verwendet Angela Merkel öfter die Formulierung „… und ähnlichem“ –  im Anschluss an konkrete Beispiele. Das lässt dann Spielraum für Interpretationen. (Anmerkungen zu diesen Merkel-Äußerungen hat wir-sind-tierarzt im Text kursiv gesetzt.)

Die Einstiegsfrage des Interviews adressiert das Kernproblem: „Menschen stecken sich in Krankenhäusern mit Keimen an, gegen die keine Antibiotika mehr wirken. Wie groß ist die Bedrohung?“

Merkel beschreibt daraufhin aus ihrer Sicht die Probleme beim Antibiotikaeinsatz bei Mensch und Tier so:

  • Zu häufige Antibiotikaeinnahme
  • Die Verkettung von Menschen- und Tieraufnahmen von Antibiotika.
    (Den Begriff der „Verkettung“ verwendet Merkel, ohne genau zu sagen, was sie damit meint – Die DART 2020 spricht davon, dass „resistente Bakterien von Tieren auf den Menschen oder auch umgekehrt – vom Menschen auf das Tier übertragen werden“ können).
  • Weitergabe von Resistenzen über „Gülle und ähnliche Dinge“
    (Hier fehlt eine Definition der „ähnlichen Dinge“. Sind auch Klinikabwässer gemeint? Oder ist mit „ähnlich“ das politische Thema „Abluft aus Tierställen“ gemeint?)
  • Als zentralen Punkt bezeichnet Merkel: „Den falschen Gebrauch.“ Den erklärt sie so: „… dass man Antibiotika zu kurz einnimmt, nicht auf die Verschreibungspflicht achtet und sie auch zu oft einsetzt.“
    (Diesen Punkt schränkt sie nicht auf die Tierhaltung ein.)

Merkels im gesamten Interview geäußerten Ansätze zur Resistenzminimierung lassen sich wie folgt zusammenfassen, wobei sie, wenn es um eine „Reduktion“ geht, besonders die Tierhaltung anspricht:

  • Sie sei „persönlich der Meinung, dass in der Tierzucht überlegt werden muss, ob man mit weniger Antibiotika auskommen kann.“ Leichte Veränderungen könnten da schon sehr hilfreich sein.
    (Hilfreich wäre hier gewesen, hätte die Moderatorin nachgefragt, ob Merkel wirklich die Tierzucht oder nicht doch eher den Antibiotikaeinsatz in der Tiermast meint – was wahrscheinlicher ist, denn darauf zielt das von der Bundesregierung verabschiedete Antibiotikaminimierungskonzept ab?) 
  • Es bestehe „riesiger Aufklärungsbedarf in der Bevölkerung“, dass zu frühes Absetzen von Antibiotika extrem schädlich ist.
  • Auch Ärzte dürften bei „leichten Erkrankungen“ nicht sofort zu „schweren Mitteln“ greifen.
  • Es werde und müsse weiter eine systematische Forschungsarbeit geben.

Als Erfolge wertet die Bundeskanzlerin:

  • Es gebe in Deutschland inzwischen mehr Transparenz und mehr Bewußtsein für das Thema Antibiotikaresistenzen und eine hohe Sensibilität bei der Verordnung. Ärzte und Tierärzte verschrieben nicht generell zu viele Antibiotika.
    (Die Deutsche Antibiotikaresistenz Strategie bemängelt allerdings einen „übermäßigen und unsachgemäßen Einsatz“ – den können in D nur Ärzte veranlassen, da Antibiotika hierzulande verschreibungspflichtig sind. – DART 2020/Seite 5)
  • Im Tierbereich dürften Antibiotika nur für „gesundheitliche, medizinische Zwecke verwendet werden und nicht mehr zu anderen Zwecken, etwa des Wachstums oder ähnlichem„.
    (Auch hier besteht wieder Definitionsbedarf des „ähnlichem“ –  politisch wird der Antibiotikaeinsatz zur Kompensation von Haltungsmängeln kritisiert.)
  • Wechselwirkung zwischen Mensch und Tier seien sehr viel besser erforscht.

Antibiotikaresistenzen sieht Merkel als weltweites Problem:

  • Jedes Land weltweit müsse eine nationale Resistenz-Strategie haben. Deutschland habe diese Strategie (DART 2020).
  • Forschung an Antibiotika müsse weltweit mit Anreizen gefördert werden.
  • Entwicklungsländer müssten Zugang zu Antibiotika haben – und diese sachgemäß einsetzen.
  • Die landwirtschaftliche Nutzung von Antibiotika werde auf dem G7-Gipfel eine Rolle spielen: „Die sachgemäße Verschreibung von Antibiotika bei Tieren ist dringend notwendig.“ Merkels Ziel sind weltweite gemeinsame Verschreibungsstandards.
    (Sollte sich das durchsetzen, würde es die Rolle der Tierärzte weltweit stärken. Auch in Europa gibt es noch keine einheitliche tierärztliche Verschreibungspflicht für Antibiotika. Dies ist eine Forderung des Europäischen Tierärzteverbandes (FVE).)

Das Video-Interview in voller Länge (6:30) finden Sie hier auf dem YouTube-Kanal der Bundeskanzlerin und unten eingebunden.

Über die „DART 2020“ und deren Aussagen zur Tierhaltung hat wir-sind-tierarzt hier berichtet.

 

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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