Kapitulation oder überfällige Entscheidung? Hirnforscher stellt Affenversuche ein

Tierschützer jubeln, Wissenschaftler sind frustriert: Der Tübinger Hirnforscher Nikos Logothetis kündigte an, keine neue Affenversuche mehr zu beantragen. In zwei Jahren endet damit sein Forschungsprojekt mit Rhesusaffen. Es war zum Symbol im Kampf gegen Tierversuche geworden. Ein Überblick über die Entscheidung und ihre bedrohlichen Hintergründe.

zusammengestellt von Jörg Held

Wie dieser Entschluss zu bewerten ist, darüber debattieren das Netz und die Medien: „Ein Hirnforscher kapituliert … während Tierschützer triumphieren, bangen Wissenschaftler um die Forschungsfreiheit,“ fasst es die Süddeutsche Zeitung zusammen.
Als Einsicht, dass solche Tierversuche nicht mehr nötig sind, wertet dagegen „erleichtert“ die Landestierschutzbeauftragte von Baden Württemberg, Dr. Cornelie Jäger, den Rückzug und schreibt:

„Wenn ein auf seinem Gebiet so renommierter Forscher wie Nikos Logothetis die chronisch-invasiven Neurokognitionsexperimente an Rhesusaffen künftig für entbehrlich hält, dann stellt sich die Frage, ob nicht auch für andere vergleichbare Versuche die zwingende Notwendigkeit – also die Unerlässlichkeit, so zu forschen – überhaupt noch besteht“.

„Unerlässlich“ muss die Forschung sein, um überhaupt eine Tierversuchsgenehmigung zu bekommen. Und so wertet auch der Deutsche Tierschutzbund den angekündigten Rückzug als „Erfolg“, kritisiert aber, dass die Versuche nicht sofort gestoppt würden und „dass dies noch mindestens zwei weitere Jahre Leid für die Affen bedeutet“.

Wissenschaft beugt sich militanten Tierschützern

Soweit die sachlichen Bewertungen des Themas. Radikale Quellen über eine gewonnene „Schlacht“ verlinken wir nicht. Der Tübinger Forscher und seine Familie waren allerdings zuvor vielfach bedroht und beschimpft worden. Auch die Pressemeldung der Max-Planck-Gesellschaft zur Aufgabe des Forschungsprojektes legt das nahe, wenn auch etwas verklausuliert. In der Süddeutschen Zeitung dagegen findet der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Martin Stratmann, absolut eindeutige Worte:

„Die Max-Planck-Gesellschaft und Nikos Logothetis sind nach wie vor von der Notwendigkeit tierexperimenteller Forschung mit Primaten überzeugt. Hier ist ein Wissenschaftler an die Grenzen seiner physischen und psychischen Belastbarkeit getrieben worden.“ Der Druck habe Logothetis schließlich bewogen, seine anerkannte und erfolgreiche Forschung aufzugeben. „Wir bedauern das außerordentlich.“

Inhaltlich haben sich die Positionen zur Sache also keineswegs angenähert. Im Raum steht eine Kapitulation der Wissenschaft vor militanten Tierschützern. Seit einer TV-Sendung im September letzten Jahres (siehe unten) seien die Forscher und Forscherinnen des Instituts öffentlich als „Mörder“ und „Peiniger“ bezeichnet und bedroht worden: „Heute um drei Uhr bist Du tot“. Sie wären in bestimmten Läden in Tübingen nicht mehr bedient und ihre Kinder in der Schule geächtet worden. „Es gibt tätliche Angriffe,“ schrieb schon im Januar ein Tübinger Universitätsprofessor in der FAZ unter der Überschrift: „Ein Hirn am Pranger“.

„Falscher Jubel“

Was diese Entscheidung am Ende bedeutet, hat aus meiner Sicht am besten Patrick Illinger in der Süddeutschen Zeitung kommentiert:

„Nach Ansicht vieler Versuchsgegner ist eine wichtige Schlacht gewonnen im Krieg gegen Tierexperimente in der Forschung. Die Militär-Metaphorik ist dabei leider angemessen, denn die Mittel, mit denen in diesem wie auch in früheren Fällen gegen demokratisch legitimierte und streng regulierte Tierversuche vorgegangen wird, sind oft martialisch – und zum Teil kriminell.
Wo persönliche Anfeindungen bis hin zur Morddrohung Fakten schaffen, hat die Demokratie versagt. Das gilt ganz unabhängig von der Frage, ob in Tübingen Fehler passiert sind (ja, sind sie) und ob jeder einzelne Tierversuch in der Grundlagenforschung zwingend notwendig ist (wahrscheinlich nicht).“

Der Tübinger Fall verlangt einen breiten öffentlicher Diskurs auf der Sachebene. Forschung muss dabei transparenter werden, darf keine „Wagenburg-Mentalität“ zeigen. Aber die Gesellschaft darf auch nicht zulassen, dass Drohszenarien zum „Erfolge“ führen. Selbst der Anschein wäre fatal.

Auslöser: Tierqual-Video auf sternTV

Auslöser des mit harten Bandagen geführten Streites um die Tübinger Tierversuche war ein Bericht von stern.TV. Der Beitrag aus September 2014 zeigte grausame Bilder aus dem Institut: Affen mit Implantaten im Kopf, eines der Tiere ist blutverschmiert, einem anderen läuft Spucke oder Erbrochenes aus dem Mund. Mit versteckter Kamera sollen sie von einem Tierschützer gemacht worden sein, der sich als Pfleger habe anstellen lassen (Link zum youtube-Video).
Das Max-Planck-Institut bezeichnete die Aufnahmen im Deutschlandfunk als „nicht authentisch“ und warf dem Tierschützer vor, er habe häufig allein gearbeitet und dabei die Tiere manipuliert – also in Situationen gebracht, die es so nicht gegeben habe.

Quellen und Berichte

 

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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