Rinder-Hygieneverordnung kommt spätestens bis 2020

Hält eine Hygieneverordnung für Wiederkäuer für nötig – Prof. Dr. Hans-Joachim Bätza.Hält eine Hygieneverordnung für Wiederkäuer für nötig – Prof. Dr. Hans-Joachim Bätza. (Foto:©WiSiTiA/aw)

(aw) – Spätestens in fünf Jahren gibt es auch für Wiederkäuer eine Hygieneverordnung. Um Menschen und Tiere vor Tierseuchen zu schützen, werde die EU-Kommission das fordern. Bisher gibt es nur „Empfehlungen“ – auch weil die Bauernverbände sich wehren. Doch die Rindergesundheit muss besser werden.

Logo_Bay_TierärztetageAnalog zur Schweinehaltungshygieneverordnung braucht es auch Vorgaben für Rinderhalter und diese werde die EU bis 2020 fordern. Darüber waren sich Prof. Dr. Hans-Joachim Bätza (BMEL) und Dr. Norbert Rehm (STMUV, Bayern) auf  den 27. Bayerischen Tierärztetagen 2015 in Nürnberg einig. Bisher aber ist eine solche Verordnung am massiven Widerstand der bäuerlichen Berufsverbände gescheitert.
Bereits in 2006/2007 wurden erste Leitlinien für Wiederkäuer erarbeitet, doch diese traten nie in Kraft. Ein weiteren Anlauf hat Prof. Hans-Joachim Bätza, als Referatsleiter im Bundeslandwirtschaftsministerium zuständig für Tiergesundheit, 2012 genommen. Nach der Verbändeabstimmung (siehe unten) ist seine Empfehlungen für hygienische Anforderungen an das Halten von Wiederkäuern seit August 2014 nun gültig.

Tierärzte wollen Rechtsverordnung

Auch in diesem Prozess liefen die Bauernverbände Sturm: Zu kompliziert und völlig unnötig, lauten die Einwände. Doch die Landwirtschaftsvertreter übersehen in ihrem Kampf gegen vermeintliche Bürokratie die Anforderungen der EU-Kommission: Nach Schätzungen von Bätza und Rehm, im Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (STMUV) zuständig für Tiergesundheit, wird es noch maximal fünf Jahre dauern, bis für den Rinderbereich eine Regelung analog zur Schweinehygienehaltungsverordnung gefordert wird. Spätestens dann dürfte der nationale Widerstand zwecklos sein.
Die Bundestierärztekammer (BTK) und der Bundesverband der praktizierenden Tierärzte (bpt) begrüßen die Leitlinie ausdrücklich, nicht zuletzt, um durch einen besseren Gesundheitsstatus den Bedarf für die Behandlung mit Antibiotika zu reduzieren. Beide Verbände fordern aber, die Leitlinien zur Rinderhygiene in eine Rechtsverordnung zu überführen, weil nur dann Sanktionsmöglichkeiten bestünden.

Daten zeigen: Rindergesundheit muss besser werden

Die Argumente der Landwirte, dass bei den Rindern weitestgehend alles gut läuft und keine Regelungen nötig sind, hinterfragte Prof. Bätza in Nürnberg. Spätestens der BHV1-Ausbruch in Bayern zu Beginn des Jahres dürfte gezeigt haben, dass strengere Auflagen kein Fehler wären. Auf diesen aktuellen Fall ging  Bätza in seinem Vortrag aber nicht explizit ein. Er argumentierte stattdessen mit statistischen Daten, um zu zeigen, dass es nicht so gut um die Rinderhaltung steht, wie der Bauernverband meint:

  • „Etwa 80 Prozent der Milchkühe erleben ihre vierte Laktation nicht mehr und
  • 30 Prozent der Erstkalbinnen beenden nicht einmal ihre erste Laktation.
  • Die Lebenserwartung liegt zwischen 2,8 und 3,4 Laktationen, also weit unter dem Alter, ab dem eine Milchkuh für den Landwirt tatsächlich wirtschaftlich wäre.
  • Die Abgangsraten schwanken zwischen 35,5 und 40 Prozent – in rund 57 Prozent sind Folgen von Gesundheitsstörungen die Abgangsursachen.
  • Im Jahr 2014 verendeten 136.887 Rinder (älter als 48 Monate) und 414.338 Jungtiere (jünger als 48 Monate). Der dadurch entstandene Schaden für die Landwirte beläuft sich auf rund 277 Millionen Euro.“

Angesichts solcher Zahlen und der Tatsache, dass die meisten Kühe niemals ihr volles Leistungspotential entfalten können, stelle sich zwangsläufig die Frage, wie die Landwirte eigentlich mit ihrem Kapital umgehen, sagte Bätza.

„Chronischer Botulismus“ ein Hygieneproblem?

Ein weiterer Aspekt, der zeige, dass eine Hygieneleitlinie dringend nötig wäre, ist das auf Deutschland begrenzte Phänomen des „chronischen Botulismus“. Ausgelöst wurde die genaue Untersuchung dieser vermeintlich neuen Erkrankung durch Landwirte, die sich als Opfer sehen. Umfangreiche Studien der Universitäten in Hannover und München konnten aber keinen Zusammenhang zwischen Clostridium botulinum und den beschriebenen Krankheitsanzeichen herstellen, berichtete Bätza in Nürnberg. Dafür aber wiesen die beteiligten Wissenschaftler nach, dass das Hygienemanagement im Bereich Fütterung und Stallumgebung sehr zu wünschen übrig ließ. Insbesondere Lahmheiten führten sie auf eine vermutlich schlechte Stallhygiene – zum Beispiel verschmutze Laufflächen und Liegeboxen – sowie zu kurze Liegezeiten wegen Überbelegung der Laufställe zurück. Managementprobleme traten bei bis zu 66 Prozent der Tiere auf.

Auf EU-Regelung vorbereitet sein

Die Betrachtungen von Prof. Bätza zeigen, dass ähnlich wie bei den Schweinen, eine Hygieneverordnung im Sinne der Tierhalter sein müsste. Jeder Rinderhalter sollte sich frühzeitig über die bestehenden Empfehlungen informieren und sein Betriebsmanagement danach ausrichten.

  • Denn zum einen sind die im Auftrag des BMEL erarbeiteten Gutachten/Leitlinien über Mindestanforderungen an die Haltung von Tieren – nach Auffassung des Ministeriums – „zwar nicht rechtsverbindlich, unterstützen Tierhalter, zuständige Behörden und Gerichte aber bei der Entscheidung, ob eine Tierhaltung den Vorschriften des Gesetzes entspricht“.
  • Zum anderen werden die Betriebe dann nicht von EU-Regelungen und deren Anforderungen „überrascht“.

Quellen/weiterführende Links

Position der Tierarztverbände:
Stellungnahme der Bundestierärztekammer zum Entwurf der Wiederkäuer-Hygieneleitlinien (2012/PDF-Download)
Stellungnahme des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte zum Entwurf der Wiederkäuer-Hygieneleitlinien (2012/PDF-Download)

Positionen der Kritiker:
Kritik Hessischer Bauernverband (2014)
Kritik der Nordrheinwestfälischen Landwirtschaftsverbände (2014/topagrar)
Kritik der Landwirtschaft (2014/agrarheute)

Text der BMEL-Empfehlungen:
BMEL „Empfehlungen für hygienische Anforderungen an das Halten von Wiederkäuern“ (2014/PDF-Download)
BMEL-Änderung: „Präzisierung des Begriffs Infektion in der Empfehlung“ (2014/PDF-Download)

Beitragsbild: Vortrag Prof. Hans-Joachim-Bätza auf den 27. Bayerischen Tierärztetagen 2015 in Nürnberg. (©WiSiTiA/aw)

Teilen
Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)