„Fähnchen im Wind“ – Hessens Bauern attackieren Bundestierärztekammer

Milchkühe in Anbindehaltung (Halsrahmen) (Foto:©WiSiTiA/aw)Milchkühe in Anbindehaltung (Halsrahmen) (Foto:©WiSiTiA/aw)

Massiver Angriff auf Landwirte oder notwendige Tierschutzmassnahme? „Demagogie“ und „Verunglimpfung der Landwirte“, wirft der Hessische Bauernverband der Bundestierärztekammer (BTK) vor, weil diese fordert, die Anbindehaltung von Rindern zu verbieten. Doch die BTK bleibt bei ihrer Forderung nach mehr Tierwohl.

„Stammtischparolen haben keinen Platz, wenn es um bäuerliche Existenzen geht. Von Partnern erwartet man Sachlichkeit und keine demagogischen Verletzungen. Das Fähnchen nach dem Wind kann jeder drehen.“ Mit harten Worten kritisiert Friedhelm Schneider, Präsident des Hessischen Bauernverbandes,  öffentlich die Stellungnahme der Bundestierärztekammer zur Anbindehaltung von Rindern.

BTK: Ausstieg mit Übergangsfrist gesetzlich vorschreiben

Die hatte den kompletten Ausstieg aus der Anbindehaltung gefordert, ebenso wie eine entsprechende Verschärfung der Tierschutznutztierhaltungsverordnung – und bleibe auch dabei, erwiderte BTK-Präsident Prof. Dr. Theo Mantel ebenfalls per Pressemeldung: „Die tieräztlichen Experten sind sich einig, dass die Anbindehaltung von Rindern mit einer angemessenen Übergangsfrist verboten werden soll.“ Das sei auch kein „massiver Angriff auf die hessischen Milchviehbetriebe und die dahinterstehenden Familien“, sondern die Forderung nach „klaren rechtlichen Regelungen zur Gestaltung der Haltungsform von über sechs Monate alten Rindern.“ Ein Mehr an Tierwohl sollte – besonders vor dem Hintergrund der zunehmenden Kritik an landwirtschaftlichen Tierhaltungen – „auch im Interesse der Tierhalter sein“, argumentiert Mantel. Für jüngere Rinder ist die Anbindehaltung bereits verboten, für ältere Tiere fehle eine bundesweite Regelung.

Bauern: Bestehendes Recht reicht aus

Stimmt nicht, schreibt der Hessische Bauernverband: Die Anbindehaltung sei nach EU-Recht gestattet – wenn dem Bedürfnis der Tiere nach ausreichender Bewegungsfreiheit trotzdem genüge getan wird und die Tiere nicht leiden. Auch die geforderte Verschärfung der bestehenden Rechtslage weist Schneider vehement zurück. „Die rechtlichen Grundlagen für Kontrollen und mögliche Sanktionierungen sind längst gegeben und müssen nicht zusätzlich geschaffen werden.“

Tierschützer drohen mit Anzeigen

Allerdings hatte auch der Bundesverband der Beamteten Tierärzte (BbT) eine „bundeseinheitliche Regelung“ gefordert und dabei einen „schrittweisen Ausstieg aus der ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern“ für sinnvoll erachtet. Den Amtstierärzten wiederum hatte die Tierschutzorganisation Animals Angels mit Anzeigen gedroht, sollten sie nicht gegen Anbindehaltungen vorgehen – zur Stärkung ihrer Position haben die Tierschützer ein Rechtsgutachten erstellen lassen, das die Anbindehaltung für tierschutzwidrig erklärt.

Tierschutz: Kleine Betriebe können nicht umbauen

Die Zahl der Anbindehaltungen sinkt stetig – vor allem durch Aufgabe der beteiligten Betriebe.

Die Zahl der Anbindehaltungen sinkt stetig – vor allem durch Aufgabe der beteiligten Betriebe. (@DBV_Faktencheck/AMI/ADR)

Hessens Bauernverband wiederum ist bei diesem Thema besonders sensibilisiert, weil nach eigenen Angaben über der Hälfte der 3.300 hessischen Milchviehbetriebe die Kühe noch in Anbindeställen halten. Das erklärt den Ton. Doch betrifft das Thema viele Halter aber wenig Kühe: So standen nach Berechnungen der Hessischen Tierschutzbeauftragten im Jahr 2010 „nur“ noch etwa 9.000 Milchkühe in Anbindehaltung – bei einem Gesamtbestand von etwa 150.000 Tieren.
Die Lautstarke Positionierung des Verbandes zeigt aber das Dilemma in der Nutztierhaltung: Vor allem die große Zahl der kleinen Betriebe – und damit eine große Zahl an Verbandsmitgliedern – haben Schwierigkeiten, die nötigen Investitionen für steigende Tierschutzanfordungen in wirtschaftlich vertretbarem Rahmen zu stemmen. Das gilt sowohl für Rinder-, als auch Schweine- oder Geflügelhalter. So haben in Hessen von 2010 bis 2014 über 800 Milchviehhalter – also immerhin fast ein Fünftel – aufgegeben. Die Zahl der Milchkühe ist aber gerade mal um 3.600 gesunken (von 150.500 auf 146.900 – Zahlen Statistisches Bundesamt).

Bundesweit rund eine Million Milchkühe in Anbindehaltung

In Bayern und Baden-Württemberg ist die Anbindehaltung vor allem in den Bergregionen deutlich weiter verbreitet. Dort aber haben die Tiere in Sommermonaten meist Weidegang. Genaue Zahlen, wie viele Milchkühe letztlich in in „ständiger“ oder „teilweiser“ Anbindehaltung stehen, gibt es nicht. Die Angaben schwanken zwischen 0,9 und 1,3 Millionen Rindern. Hessen spielt bei diesem Thema also ein vergleichsweise unbedeutende Rolle.

Zahlen und Daten zur Anbindehaltung hat wir-sind-tierarzt.de hier zusammengetragen und kommentiert.
Alle bisherigen Berichte auf wir-sind-tierarzt.de zum Thema „Anbindehaltung“ hier

Quellen und weiterführende Links:

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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