Zitzenverletzung bei der Sau: Technopathie oder Stoffwechselproblem?

Schweine haben oft Verletzungen an Zitzen, Klauen und Gelenken. Schuld seien harte Betonliegeflächen und falsche Spaltenbreiten, das sind also Technopathieen, sagen die einen. Womöglich ist das voreilig, denn vieles, was nach einer Verletzung aussieht, werde durch falsche Fütterung hervorgerufen, erwidert Dipl.-Ing. agr. Mirjam Lechner. Sie beschreibt das komplexe Zusammenspiel von kühlenden Böden, ausreichend sauberem Wasser und Raufutter.

von Annegret Wagner

AVA_Logo_kleinEin typisches Beispiel ist dabei die Zitzengesundheit, die durch schlechtes Management nachhaltig beeinträchtigt wird. Die dabei ablaufenden, komplexen Prozesse erläuterte Lechner auf der AVA-Haupttagung Ende März in Göttingen: Nicht immer sei klar, wo der Auslöser für eine „Verletzung“ tatsächlich liegt. Problematisch ist häufig der Abferkelbereich beziehungsweise der Abferkelstand. Hier besteht der Boden häufig  aus Kunststoff, um das Verletzungsrisiko der neugeborenen Ferkel zu minimieren.

Die Sau ist ein „Liegendkühler“

Zitzenläsionen bei Sauen mit Gesäugeentzündung.

Zitzenläsionen bei Sauen mit Gesäugeentzündung. (Foto: AVA-Vortrag ©www.ueg.ferkel.de/www.hygiene-info.net)

Für die Sau ist dieses Bodenmaterial aber ungünstig (ebenso wie Gummimatten), da Schweine Liegendkühler sind. Sie brauchen Untergründe mit guter Wärmeleitfähigkeit – eben am besten Gussroste oder Beton. Wenn die Sau außerdem nicht mit dem Tränkesystem im Abferkelbereich vertraut ist, fehlt die zweite Möglichkeit der Temperaturregulierung, nämlich die ausreichende Aufnahme von kühlem Wasser. Zum Hitzestau gesellt sich die extreme Stoffwechselbelastung in der Hochträchtigkeit beziehungsweise der Frühlaktation. Damit sind Gesundheitsprobleme vorprogrammiert.

Immer paarweise Veränderungen

Nimmt die Futteraufnahme der Sau ab und kommt es zum Eindicken des Kotes (Gefahr von Entzündungen und Endotoxinbildung), zeigen sich auch Veränderungen an den Klauen und Zitzen. Vor allem die hinteren Gesäugekomplexe einer Sau, die über die A. epigastrica caudalis superficialis mit Blut versorgt werden, scheinen relativ schnell von der Blutversorgung abgekoppelt zu werden. Sie sind weitaus häufiger entzündlich verändert als die vorderen Komplexe, die von der A. epigastrica cranialis versorgt werden. Agrarwissenschaftlerin Lechner bezieht sich bei dieser Erklärung auf Nickel, Schummer, Seiferle Band III¹.

Gesäugeödem Sau

Gesäugeödem mit Zitzenschädigungen bei der Sau (Foto: AVA-Vortrag/©www.ueg.ferkel.de/www.hygiene-info.net)

Für die Theorie der durchblutungs- beziehungsweise stressbedingten Zitzenläsionen spricht die Tatsache, dass die Veränderungen (ringförmige Abschnürungen, Spaltungen) immer paarweise an parallel liegenden Zitzen auftreten. An den Klauen führen Stoffwechselstörungen und MMA – genau wie beim Rind – zu Entzündungen und Lahmheiten (Lamenitis). Bei den Sauen sind an den Klauen viel Veränderungen zu sehen, die auf Störungen des Stoffwechsels hinweisen; häufig finden sich streifenweise Enblutungen oder gestörtes Hornwachstum mit Ringbildung, die ähnlich wie Ringe im Anschluss an Hufrehe beim Pferd aussehen. Diese Abschnitte mit schlechterer Hornqualität sind „Sollbruchstellen“. Durch falsche Belastung kann es zu Absplitterungen kommen, die dann mit primären Klauenverletzungen verwechselt werden. Das wiederum ruft die Tierschützer auf den Plan, die die Haltungsbedingungen verurteilen, weil sie die Zusammenhänge mit der Ernährung nicht kennen.

Der ideale Abferkelbereich

Wie sollte also der ideale Abferkelbereich aussehen? Mirjam Lechner betont, dass in freien Abferkelständen die Sauen zwischen Gussrosten und Betonboden je nach Abkühlungsbedarf wählen können. Wenn aber die Wasseraufnahme/Futterzusammensetzung nicht passt, ist es im Hinblick auf die Zitzenveränderungen egal, ob die Sau frei laufen kann oder nicht.

Der ideale Abeferkelbereich schränkt die Sau in der für sie höchsten Leistungsphase in keinem Stoffwechselbereich ein. Daher auch die „ad libitum Bucht“. Neben guter Klimaführung hat die Sau die Möglichkeit, die anfallende Verdauungs- und Laktationswärme durch Kontaktkühlung an einen Metallboden abzugeben.  Die Tränken (am besten Passivtränke) sollten so niedrig angebracht sein, dass die Sauen auch im Liegen trinken können, denn sie stehen während des Geburtsvorgangs in der Regel selten oder gar nicht auf. Um eine ausreichende und komfortable Wasseraufnahme zu gewährleisten, sind offene Tränken mit entsprechenden Durchflussgeschwindigkeiten besser. Diese müssen allerdings peinlichst gepflegt werden, damit die Keimbelastung gering bleibt. Verschmutztes Wasser belastet den Stoffwechsel der Sau sonst zusätzlich.

„Dauerfresser“ nicht „Leerkauen“ lassen

Die Übergänge der Futterrationen sollten fließend gestaltet werden, denn immerhin wird der Energiegehalt von 35-40 MJ in der Trächtigkeit auf bis zu 115 MJ in der dritten Laktationswoche erhöht. Im Wartebereich vor der nächsten Besamung fällt er dann wieder auf 35-40 MJ ab. Sauen sollten zudem in jeder Phase Raufutter aufnehmen können. Schweine sind Dauerfresser und rationierte Fütterung oder Flüssigfütterung führen zu Leerkauen und anderen Stereotypien.

Ohne Raufutter mehr Magengeschwüre

Darüber hinaus begünstigt die raufutterlose Kost Magengeschwüre. Eine Erhöhung des Rohfaseranteils führt zu der notwendigen Schichtung im Magen und mindert das Risiko für Magengeschwüre. Sowohl Hunger als auch Magenschmerzen könnten die Ursache für aggressives Verhalten von Sauen im Wartebereich (nach dem Absetzen der Ferkel) sein. Geschlitzte, mit Stroh gefüllte Tonnen können praktisch überall ohne großen Aufwand angebracht werden. Da die Sauen das Stroh komplett fressen, ist nicht mit einer Beeinträchtigung der Güllekonsistenz zu rechnen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Strohaufnahme parallel mit dem Energiegehalt der Ration steigt. Je höher die Megajoule, desto höher die gefressene Strohmenge. Natürlich spielt auch hier die Strohqualität eine Rolle. Verschimmeltes Stroh führt zu einer Mykotoxinbelastung mit allen bekannten Problemen und bringt keine Vorteile für die Sau.

wir-sind-tierarzt meint:

(aw) – Landwirte stellen immer höhere Leistungsansprüche an ihre Tiere. Damit diese ohne Gesundheitsprobleme möglich sind, ist der Landwirt umgekehrt dazu verpflichtet, den Tieren eine optimale Fütterung und Wasserversorgung zu gewährleisten. Erst wenn dieser Bereich passt, lässt sich sagen, welche Veränderungen an den Haltungs- beziehungsweise Umweltbedingungen notwendig – und vor allem sinnvoll sind.

Viele Musterbeispiele zu Verbessserungen finden sich auf: www.youtube.com/user/stallaktiv

 

¹Nickel, Schummer, Seiferle, Band III (2.Auflage), S.123, Abb. 86 vs. S.186, Abb.141
Beitragstitelbild:  AVA-Vortrag/© www.ueg.ferkel.de/www.hygiene-info.net)

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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