Wie weit darf Werbung gehen ?

Bergbäuerin auf MilchpackungMilchpackung Berchtesgadener Molkerei (Foto: ©WiSiTiA/aw)

Bauern, denen das Wohl ihrer Milchkühe am Herzen liegt, behandeln diese sicherheitshalber am besten selbst: mit Homöopathie. Das implizierte die aktuelle Werbekampagne der Molkerei Berchtesgadener Land. Mal abgesehen davon, dass dies ein Affront gegen die Tierärzte ist, dürfen kranke lebensmittelliefernde Tiere überhaupt nicht ohne weiteres von jedem mit irgendwas „behandelt“ werden – aus gutem Grund. 

Ein Kommentar von Annegret Wagner

„Wie weit darf Werbung eigentlich gehen?“ Diese Frage stelle ich mir, seit ich die neu gestaltete Milchpackung der Molkerei Berchtesgadener Land gekauft habe und auch die Radiospots im Bayerischen Rundfunk hör(t)e. Bisher war ich großer Fan der Marke, weil viele „meiner“ Bauern ihre Milch dorthin liefern (sowohl bio als auch konventionell) und seit Jahren dafür den deutschlandweit höchsten Milchpreis erhalten. Bernhard Pointner, der beim Autobauer BMW sein Handwerk gelernt hat, scheint als Geschäftsführer ein echter Glücksgriff für die Genossenschaftsmolkerei zu sein.

Einen Berufsstand verunglimpfen

Doch jetzt sehe ich auf der Packung das Bild einer Bäuerin namens Christa Brandner und daneben folgenden Text:

„Gesunde Kühe sind Voraussetzung für beste Milch. Vor über zehn Jahren haben wir deshalb begonnen unsere Kühe homöopathisch zu behandeln. Denn Tierwohl liegt uns sehr am Herzen… .“

Das impliziert in einem nicht besonders kompliziert gedachten Umkehrschluss: Schulmedizinisch arbeitende Tierärzte tragen weder zur Gesundheit von Milchkühen bei, noch haben sie Interesse am Tierwohl. Das geht nur oder zumindest viel, viel besser mit Homöopathie?
Ein paar schlichte Worte, die einen ganzen Berufsstand verunglimpfen. Ich gebe jetzt mal nicht Frau Brandner die Schuld dafür, sondern der Marketingabteilung der Molkerei.

Wer darf wann wen womit „behandeln“?

Mir geht es hier aber weniger nur darum, dass ich mich beleidigt fühle und vorläufig meine Milchprodukte von anderen Molkereien kaufe, sondern weit mehr noch um die rechtlichen Aspekte: Was bedeutet „Tiere behandeln“? Eine „Behandlung“ setzt ja zunächst eine „behandlungsbedürftige Krankheit“ voraus. Kann und darf ein Landwirt ein lebensmittellieferndes Tier mit Medikamenten „behandeln“, ohne einen Tierarzt zu konsultieren? Das stellte die Gesellschaft gerade zu recht sehr deutlich in Frage – Stichwort: Antibiotika und „Leistungsförderung“.
Aber auch „homöopathisch behandeln“ heisst – jedenfalls hier im südöstlichen Oberbayern – keineswegs, dass Tierärzte involviert sind. Die Molkerei Berchtesgadener Land bietet sogar entsprechende Kurse für ihre interessierten Landwirte/innen an, bei denen zwei Tierheilpraktikerinnen „in die Welt der Globuli einführen“. Dazu kann man auch gleich noch das passende, selbstverfasste Buch erwerben. „Behandelt“ wird später dann in der Regel auf eigene Faust mit den (im Kurs empfohlenen) Humanglobuli der DHU.

Globuli: Zuckerkügelchen oder Medikament?

Und genau hier wird es Zeit für die alles entscheidende Frage: Sind Globuli harmlose Zuckerkügelchen oder ernstzunehmende Medikamente mit therapeutischer Wirkung?
Zählen Globuli zur harmlosen – und damit wohl eher auch nutzlosen? – ersteren Zückerchen-Variante, dann darf Frau Brandner sie gerne fläschchenweise an ihre Kühe verfüttern. Dann aber müssten sie – und die Molkerei – eigentlich die offensichtlich für werbewirksam gehaltenen Worte „behandeln“, „gesunde Kühe“ und „Tierwohl“ zurücknehmen.
Sind die Globuli aber wirksame Arzneimittel, zur Behandlung einer kranken Milchkuh, dann gehören sie nicht einfach so in die Hände von Frau Brandner & Co. Für die Behandlung erkrankter lebensmittelliefernder Tiere gibt es klare gesetzliche Vorschriften.

Regeln für Homöopathika

Eine Anfrage beim Arzneimittelinformationsdienst Vetidata ergab Folgendes: Homöopathische Arzneimittel sind grundsätzlich apothekenpflichtig. Ihre Anwendung durch den Tierhalter unterliegt den gleichen Regelungen, die auch für nicht-homöopathische Arzneimittel gelten. Das bedeutet, dass apothekenpflichtige Homöopathika zunächst einmal einer tierärztlichen Behandlungsanweisung bedürfen. Ohne eine solche dürfen Tierhalter nach §58 Arzneimittelgesetz diese ausnahmsweise nur unter folgenden Bedingungen einsetzen:

  • a) Sie müssen registriert sein.
  • b) Sie müssen gemäß Kennzeichnung oder Packungsbeilage bei der entsprechenden Tierart für das entsprechende Anwendungsgebiet eingesetzt werden können.
  • c) Die Dosierung und die Anwendungsdauer muss gemäß der Information aus der Packungsbeilage / Kennzeichnung erfolgen.

Aus diesen Regelungen resultiert, dass humanmedizinische Homöopathika eben nicht bei lebensmittelliefernden Tieren vom Tierhalter ohne tierärztliche Behandlungsanweisung angewendet werden dürfen. Darüber hinaus darf nur der Tierarzt die Wartezeit für humanmedizinische Homöopathika (§12a der Tierärztlichen Hausapothekenverordnung) unter Berücksichtigung der VO (EU) Nr.37/2010 Tabelle 1 festlegen.

(Un)Wissentlich Werbung mit Gesetzesverstößen?

Ob Frau Brandner das alles weiß? Oder die Marketingabteilung der Molkerei? Aufgrund meiner lokalen Erfahrungen lehne ich mich mal aus dem Fenster und behaupte: Nein, sie wissen es (beide) nicht. Die DHU-Globuli sind in der Region festes Inventar der meisten Milchkammern. Sie begegnen mir täglich, aber ich bin noch nie zu Indikationen der Anwendung oder Einhaltung von Wartezeiten gefragt worden. Dabei habe ich selbst – als Tierärztin, die durchaus an „gesunden Tieren“ und deren „Tierwohl“ interessiert ist – ein gewisses Spektrum homöopathischer Medikamente in meiner Hausapotheke – und setze sie ein, wenn es medizinisch sinnvoll ist. Es handelt sich allerdings ausschließlich um Präparate der Firmen Ziegler und PlantaVet mit entsprechenden Zulassungen für lebensmittelliefernde Tiere.

Wann bricht endlich diese Zeitgeistwelle?

Fazit: Schon wieder schwimmt eine Molkerei auf der Zeitgeistwelle und gaukelt den Verbrauchern vor, dass ihre Produkte nicht nur besonders gut, sondern eigentlich sogar irgendwie besser seien als andere – hier eben „aufgeladen“ mit der „tierwohlfördernden“ Behandlung mit Homöopathika. Doch die Realität sieht anders aus: Weder „homöopathisch“ noch „bio“ bedeutet automatisch „gesunde Tiere“ oder gesunde Lebensmittel (Stichwort: Zellzahlen in der Milch). Genau so wenig, wie kleine Bestände ein Garant für mehr Tierwohl sind.
Im richtigen Leben ist genauso oft genau das Gegenteil der Fall.
Warum bloß meinen immer mehr Firmen, sie müssten sich mit solchen „Zeitgeistargumenten“ von anderen (positiv?) abgrenzen? Ich fürchte, weil es „die anderen auch tun“. Es ist zumindest auffällig, dass in meiner Region sowohl Bergader als auch Berchtesgadener Land oder die Bayrische Bauern-Milch plötzlich vehement in dieses Horn tuten.

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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