Undercover-Recherche zur Heimtierzucht

Ziervögel in schuhschachtelgroßen Käfigen. (©PETA/Report Mainz)Ziervögel in schuhschachtelgroßen Käfigen. (©PETA/Report Mainz)

Kanarienvögel, Meerschweinchen oder Kaninchen, die bei großen Ketten wie „Fressnapf“, „Das Futterhaus“ oder „Dehner“ angeboten werden, würden in deutschen Zuchtstätten unter üblen Bedingungen produziert. Das berichten das ARD-Magazin Report Mainz und der Spiegel. Sie haben die Lieferwege der Heimtiere nachvollzogen und sind bei zwölf Händlern und Züchtern auf überfüllte Käfige oder Tiere in winzigen Plastikboxen gestoßen, in denen zum Teil Kannibalismus herrschte.
(erstellt: 12.4.2015/aktualisiert 15.4.2015)

„Die Grenze zur Strafbarkeit ist hier erreicht und teilweise schon überschritten.“ Die Grundvoraussetzungen für eine tierschutzgerechte Unterbringung der Tiere würden hier gänzlich fehlen. Auch seien die aufgezeigten hygienischen Bedingungen unzumutbar, hat Dr. Cornelie Jäger, Landesbeauftragte für Tierschutz in Baden-Württemberg, die Bilder gegenüber Report Mainz kommentiert. Sie forderte laut Spiegel eine Heimtierverordnung. Kleintiere wie Kaninchen würden oft schlechter gehalten als Masthühner, wird Jäger zitiert. Während es für die Hühner wenigstens Regeln gebe, die etwa die Besatzdichte festlegen, wurschtele die Kleintierbranche weitgehend gesetzlos vor sich hin. Derzeit sei der Handel mit Heimtieren ein grauer Markt, in dem es nur freiwillige Selbstverpflichtungserklärungen der handelnden Akteure gebe.

Auch der Deutsche Tierschutzbund fordert vom Staat eine flankierende Gesetzgebung: „Wir brauchen verbindliche Standards über ein Heimtierschutzgesetz.“ Die Haltung, Kennzeichnung, Registrierung, die Ausbildung, die Zucht und der Handel mit Heimtieren könnten damit insgesamt wirksam und umfassend einheitlich geregelt werden.

Der Filmbeitrag von Report-Mainz

 

Kannibalismus im Ziervogel-Käfig. (©PETA/Report Mainz)

Kannibalismus im Ziervogel-Käfig. (©PETA/Report Mainz)

Undercover-Aufnahmen von PETA

Die beiden Redaktionen beziehen sich mit ihren Berichten unter anderem auf undercover-Filmaufnahmen der Tierrechtsvereinigung PETA. Monatelang hätten die Tierschützer – nach eigenen Angaben – dokumentiert, wie in großen deutschen Zucht- und Zulieferbetrieben Kleintiere in überfüllten Käfigen oder winzigen Plastikboxen gehalten werden. Viele der gefilmten Tiere mussten demnach in ihren Ausscheidungen leben, manche waren verletzt, andere verwesten bereits. Auf den Bildern ist auch zu sehen, dass es in Kanarien-Käfigen zu Kannibalismus kam. Den Nagetieren wurde, wie die Report Mainz vorliegenden Aufnahmen weiter zeigen, angeschimmeltes Brot gefüttert.

Meerschweinchenzucht in Plastikwannen. (© PETA/Report Mainz)

Meerschweinchenzucht in Plastikwannen. (© PETA/Report Mainz)

Heimtierbranche: „Monetik statt Ethik“

Die zwölf Betriebe der Züchter und Lieferanten von Kleintieren lägen vor allem in der Nähe von Osnabrück, aber auch in den Niederlanden. Die Zustände in der Heimtierbranche hält PETA-Aktivist Edmund Haferbeck für „systemimmanent“. Der Branche gehe es um „Monetik statt Ethik“. Mehrere der mit den Vorwürfen konfrontierten Unternehmer räumten diese gegenüber Report Mainz teilweise ein, erklärten aber, dass sich die Tiere nur vorübergehend in ihren Hallen aufhalten würden.

Fressnapf und Co distanzieren sich

Rattenzucht. (© PETA/Report Mainz)

Rattenzucht. (© PETA/Report Mainz)

Die betroffenen Großmärkte, wie zum Beispiel „Dehner“, „Das Futterhaus“ und „Fressnapf“ hätten auf Nachfrage der Journalisten betont, dass die auf den Filmsequenzen dokumentierten Zustände nicht ihren Richtlinien entsprächen. Dehner habe seine Lieferanten aufgefordert, den „skizzierten Vorwürfen (…) unverzüglich nachzugehen“. „Fressnapf“ antwortete: „Bilder dieser Art, aber vor allem Bedingungen dieser Art sind schlicht inakzeptabel. Das Unternehmen distanziert sich ganz ausdrücklich davon.“ Künftig wolle man Tiere über ein eigenes zertifiziertes Züchterprogramm beziehen.

Zahlen hinterfragen

Zumindest aber die in der Report-Mainz-Meldung genannte „offizielle“ IFH-Zahl von „28 Millionen Heimtieren in Deutschland“ (2013) ist so nicht ganz richtig: Das ist die Gesamtzahl der „Haustiere“ inklusive Hunde (6,9 Mio), Katzen (11,5 Mio) und anderen Haustieren (2,7 Mio). Die kleinen Heimtiere – um die es in den Berichten geht – machen etwa 6,9 Millionen und die Ziervögel noch einmal 3,4 Millionen Tiere aus. Welchen Marktanteil die zwölf beobachteten Lieferanten davon haben, geht aus den Vorabmeldungen nicht hervor (siehe Grafik unten).

Beitragstitelbild: Ziervögel in schuhschachtelgroßen Käfigen. (©alle Bilder: PETA/Report Mainz)

Quellen
Die Vorabmeldung des Spiegel finden sie hier – den kompletten Artikel in der gedruckten SPIEGEL-Ausgabe vom 11.4.2015
Report Mainz berichtet auf seiner Webseite hier über die Recherchen und hat hier eine Pressemeldung dazu veröffentlicht.
Der ARD Filmbeitrag wird in der Report-Sendung am Dienstag, 14.4.2015 um 21:45 in der ARD gezeigt

 

Haustierhaltung in Deutschland (©statista.de)

Haustierhaltung in Deutschland (©statista.de)

Teilen
Über den Autor

Redaktion wir-sind-tierarzt.de

Unter dem Autorennamen "Redaktion wir-sind-tierarzt.de" veröffentlichen wir überwiegend kurze/aktuelle Nachrichten, die im Redaktionsalltag entstehen. Ein Namenskürzel am Textanfang weist ggf. näher auf den zuständigen Redakteur hin: jh – Jörg Held / hh - Henrik Hofmann / aw – Annegret Wagner Kontakt zur Redaktion: zentrale(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)