Boulevard-TV in der Krise – oder wie man’s wirklich niemandem recht macht

Jenke vom Wilmsdorff im Vorzeige-Schweinetransporter: Eigentlich werden die Tiere auf drei Etagen transportiert (zu erkennen an den Ventilatoren und den Rasten für die Zwischendecken), doch der Reporter brauchte womöglich mehr Platz.Jenke vom Wilmsdorff im Vorzeige-Schweinetransporter: Eigentlich werden die Tiere auf drei Etagen transportiert (zu erkennen an den Ventilatoren und den Rasten für die Zwischendecken), doch der Reporter brauchte womöglich mehr Platz. (Foto: © RTL)

RTL-Reporter Jenke von Wilmsdorff ist normalerweise ein ganz harter. Er beweist im Selbsttest, wie schädlich der Konsum von Alkohol, Drogen und Fast-Food ist und trainiert sich in drei Monaten zum Schwarzenegger. Sein neuester Streich zur Massentierhaltung (Video auf RTLnow) floppte bei den Zuschauern – und erzürnte die Bauern. Warum eigentlich?

Eine TV-Kritik von Henrik Hofmann

Die Kombination aus RTL, einem „Reporter“ und einem Thema mit Skandalpotential hätte eigentlich ein Knaller werden müssen. Jenke von Wilmsdorff reiste denn auch fünf Stunden auf der Ladefläche eines holländischen Schweinetransporters mit hunderten Ferkeln, zeigte Horrorbilder aus dem hinreichend bekannten Schweinehochhaus (einem DDR-Bau aus den 60/70er Jahren) und ließ unkommentiert eine Verkäuferin Dummheiten über Fleisch verbreiten: Weiß doch schließlich jeder, dass Fleisch Antibiotika enthält. Gelle? Die Zuschauer interessierte es aber trotzdem nicht wirklich. Die Quote im Keller. Und die Bauern sind gespalten, meist sogar erzürnt, weil man mal wieder nur oberflächlichen Quatsch sah (hier und hier).

Ich muss gestehen: Ich fand’s klasse!

Im RTL-Schweinetransporter ist die Stimmung gelöster als bei einer Kaffeefahrt.

Im RTL-Schweinetransporter ist die Stimmung gelöster als bei einer Kaffeefahrt. (Foto: © RTL-Presse)

Einfach, weil es ganz unterhaltsam war. Und vor allem, weil RTL mal nicht die große Schmutz-Schleuder ausgepackt haben. Tier-Langzeittransporte sind ein Thema, bei dem es viele Missstände gibt und das man hätte weidlich ausschlachten können. Ich jedenfalls hätte ein paar richtig lumpige Geschichten gewusst, wo jeder Zuschauer hätte heulen müssen. Aber Jenke? Er sucht sich einen Holländer als Transporteur, der sympathischer nicht hätte sein können („Ich liebe Tiere“). Der hat einen cleanen 400.000-Euro-Laster, in dem es gemütlicher aussieht, als in den meisten Pferdeställen. Und damit nicht genug: Jenke legt sich für Stunden zu den Ferkeln. Die Schweine haben nix besseres zu tun, als mit ihm zu spielen und dann zu schlafen – bis sie dann auch noch ordnungsgemäß gefüttert werden. Heile TV-Welt.

Heile Welt – kaputte Welt

Dann lügt der RTL-Reporter ein bisschen, dass er nicht in einen konventionellen Schweinemastbetrieb hätte reinschauen dürfen – 24 Stunden in den Buchten übernachten durfte er nicht. Dafür zeigt er „Horror-Bilder“ vom Tier-Robin-Hood, die so schlecht zu erkennen sind, dass ich meine Brille putzen will. Kaputte TV-Welt.
Dann wieder Hofbesuch bei einem ganz normalen Milchbauern aus der Eifel – alles picko-bello (ich hätte Schlimmere gewusst). Der Bauer erklärt, warum er und seine Kollegen aber letztlich von der Milch nicht leben können. Ein kleines bisschen graue TV-Welt.
Zack, noch ein Geflügel-Bestand: Biohuhn versus Turbomasthähnchen. Heile TV-Welt vs kaputte TV-Welt eben. War jetzt auch nichts Schlimmes. Wirklich herrlich: Ein Sprecher des BUND goes Boulevard.
Irgendwann hat es das Team noch zu einem Tierarzt nach Meck-Pom verschlagen, der 7.000 Rinder auf der Weide hält. Ein echter Vorzeige-Kollege, den hab ich mal auf einer Tierschutz-Veranstaltung kennen gelernt habe. Der ist in Wirklichkeit noch sympathischer und authentischer als im TV. Echt! Jenke meint, man könne das Massentierhaltung nennen. Sind halt viele Tiere. Aber auf dem Luftbild sieht man, dass die 7.000 Rinder in dem weiten Grünland gar nicht mehr zu sehen sind. Das erklärt er auch richtig nett. Ganz heile TV-Welt.

Skandal muss sein

Ach und dann fährt der RTL-Selbsttester mit einem bubenhaften Tierfilmer/Tierrechtsaktivisten und dessen Freundin zum Schweine-Hochhaus nach Maasdorf in Sachsen-Anhalt. Dort waren die Tierrechtler zuvor eingedrungen, hatten heimlich gedreht und dessen Besitzer (womöglich zu Recht) angezeigt. Und alle wundern sich, dass die Hochhausbetreiber die Truppe nicht reinlassen wollen und ein bisschen ausflippen. Gut, an dieser Stelle hätte ich Menschenblut aus Filmer-Nase erwartet (und Verständnis gehabt). Inszenierte TV-Welt.

Leute, ich sag euch jetzt mal was: Das war Boulevard-Fernsehen

Was habt ihr denn erwartet? Tiefschürfende, ausgewogene Hintergrundinformation im Boulevard-TV? Ich fand die Sendung – wie gesagt – OK: Ein unterhaltsamer (dass muss sein auf RTL) Ritt durch deutsche Tierhaltungslande. Und immer wieder betont der Reporter, dass er Fleisch selbst isst (und weiter essen wird); nimmt die Bauern in Schutz, erklärt, was sie für arme Teufel sind; nimmt sich die Verbraucher zur Brust, weil die vor lauter Geiz den Bauern die Existenz kaputt machen und Tierwohl keine Chance geben.

Lieb und ohne rote Faden

Gut, die Sendung hatte keinen roten Faden, es kamen keine Fachleute zu Wort und man hat sich – wenn man etwas Ahnung vom Thema hat – ständig schmunzelnd gefragt, was das jetzt eigentlich soll? Sicher sollte es kein realistisches Bild der deutschen Tierhaltung sein – aber das schafft nicht mal arte. Für die Bauern fand ich die Darstellung im Saldo sogar positiv; die Tierschützer kamen nicht als durchgeknallt rüber, sondern als lieb; der Tierarzt ein Smartie; selbst Tiertransporte sind dem Film zufolge sowas wie ’ne Kaffeefahrt (nur nicht so schlimm). Jenkes gutgemeinte Botschaft: Verbraucher! Kauft tierische Produkte aus ordentlicher Haltung und bezahlt ordentlich dafür!
Ja was wollt ihr denn noch mehr – von RTL?

Beitragsbild: Jenke vom Wilmsdorff im Vorzeige-Schweinetransporter: Eigentlich werden die Tiere auf drei Etagen transportiert (zu erkennen an den Ventilatoren und den Rasten für die Zwischendecken), doch der Reporter brauchte womöglich mehr Platz. (Foto: ©RTL)

 

 

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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