Zeichen stehen auf Veränderung beim „schönsten Kongress Deutschlands“

Im 27. Jahr seit Kongressgründung wurden die Baden-Badener-Fortbildungstage „generalüberholt“. Doch dass gleichzeitig in Essen die Equitana die Pferdepraktiker lockte, machte den Veranstaltern zu schaffen. Ein Stimmungsbericht aus Baden-Baden von Henrik Hofmann

Logo Baden-Badener Fortbildungstage 2015Baden-Baden ist Gastgeber sowohl für Human- als auch einen Tiermedizinerkongress. Beide Berufsgruppen lieben „ihren“ Kongress in wunderschöner Kulisse, blühenden Gärten und bei traumhaftem Wetter. Doch bei beiden gelten die Kongresse als fachlich „mittelmäßig“ und teilweise ein wenig antiquiert. Die Tiermediziner haben in diesem Jahr allerdings schon fast dramatische Veränderungen vorgenommen.

„Klassik“ oder „up2date“

Fachlich wurden erstmals zwei Schienen angeboten. Die „klassischen Vorträge“, zugeschnitten auf Praktiker: Hier bot etwa Ralph Wendt Kardiologie-Themen, die tatsächlich jeder aus der eigenen Praxis kennt. Beim „Klassik“-Konzept sind Themen, Referenten und Niveau so arrangiert, dass man die Inhalte 1:1 in der Allgemeinpraxis umsetzen kann.

Und parallel das „up2date“ Innere Medizin: Hier lag das fachliche Niveau auf der Schwelle zum Spezialistentum. Manch ein Kollege schaute etwas überfordert drein, andere ergänzten ihr Spezialwissen. Zu den Highlights zählten die Vorträge von Dr. Martin Kessler, Onkologie-Spezialist aus Hofheim. Er stellte aktuelles Wissen rund um Tumortherapie vor, erklärte wie wenig Nebenwirkungen aktuelle Chemotherapien haben, wie erfolgreich sie sein können und im Speziellen wie Lymphome zu diagnostizieren sind.

Am Puls der Praxis waren dagegen vor allem die Kollegen Dr. Daniel Koch aus der Schweiz und Dr. Stefan Grundmann von der Vetsuisse-Fakultät Zürich. Sie bereiteten die Informationen so auf, dass die Kollegen maximal viel Wissen mit nach Hause nehmen konnten. „In der Schweiz“, so eine Kollegin, die zwei Semester in Zürich studiert hat, „sind die didaktisch einfach besser, als die deutschen Hochschullehrer. Das liegt daran, dass schon während des Studiums größerer Wert auf Didaktik gelegt wird.“ Na denn …

1.400 Teilnehmer trotz Equitana-Konkurrenz

Ein wenig unglücklich: Parallel zum Pferdetag lockte in diesem Jahr die Equitana. Etliche Pferdekollegen aber auch Pharmafirmen zog es zur deutlich größeren Veranstaltung nach Essen. Mit insgesamt über 1.400 Teilnehmern (darunter rund 920 praktizierende Tierärzte) war die Besucherzahl für Baden-Baden dennoch in Ordnung.

Gesellschaftsabend im feudalen Kurhausambiente – mit 170 zusätzlichen Gästen besser besucht als im Vorjahr.

Gesellschaftsabend im feudalen Kurhausambiente – mit 170 zusätzlichen Gästen besser besucht als im Vorjahr.

Party im Kurhaus

Eine echte Überraschung war der einstige Sachsenabend, der heute als „Gesellschaftsabend“ firmiert: Mehr Platz, keine antiquierte Sitzordnung und ein wirklich leckeres Essen lockten 170 Teilnehmer mehr als im Vorjahr zur Party im feudalen Kurhaus-Ambiente.

Der Fluch der Kurgärten

Die größte Stärke und zugleich größte Schwäche der Veranstaltung ist die Nähe zur Innenstadt und damit die „Flucht“ der Kollegen hinaus aus der Industrieausstellung ins nahe Ortszentrum und die blühenden Gärten der Kurstadt. Für die Industriepartner ist das natürlich wenig erfreulich. Bei  Kongressen wie Bielefeld oder auf den Messegeländen von Hannover und Leipzig bindet das Umfeld die Teilnehmer mit sanfter Gewalt an den Veranstaltungsort.

all inclusive? Noch nicht ganz, aber das Mittagessen gehörte in diesem Jahr bereits zum Kongress-Service.

all inclusive? Noch nicht ganz, aber das Mittagessen gehörte in diesem Jahr bereits zum Kongress-Service.

Weil aber in diesem Jahr in Baden-Baden an beiden Tagen die Mittagessen im Preis inbegriffen waren, verbrachten doch viele Kollegen ihre Zeit an den Ständen. Bemängelt wurde von den Teilnehmern: In den letzten Jahren würden die Stände zunehmend unattaraktiver. Weniger Unterhaltung und Spaß, kaum Werbegeschenke. Es scheinen bei mancher Firma nur noch Sparzwang und Verkauf im Vordergrund zu stehen.

Netzwerken bei Sonnenfinsternis

Andere schätzen Baden-Baden als besondere Gelegenheit für Netzwerken und die Chance Tierärzte in entspannter Atmosphäre kennen zu lernen. Am Rande kleine Events: Etwa die Treffen kleiner Freundeskreise, wo sich Kollegen regelmäßig alle Jahre wieder sehen, oder das Vorstandstreffen der Deutsch-Israelischen Tierärztegesellschaft. Aktuell hat sie 48 Mitglieder. Im Oktober 2016 wird es eine Israel-Reise geben, bei der Studenten einen finanziellen Zuschuss erhalten. Geplant sind Ultraschallseminare, Besuche bei Praktikern, in landwirtscaftlichen Betrieben und eine Rundreise.

Stärke und Schwäche der Baden-Badener Fortbildungstage zugleich: Jeder Sonnenstrahl lockt die Kongressbesucher auf die Terrassen und in die nahen Parks der Kurstadt.

Stärke und Schwäche der Baden-Badener Fortbildungstage zugleich: Jeder Sonnenstrahl lockt die Kongressbesucher auf die Terrassen und in die nahen Parks der Kurstadt.

Alles in allem: eine wunderschöne Veranstaltung! Unter dem Zeichen einer partiellen Sonnenfinsternis.

(Fotos: ©WiSiTiA/hh; Aufmacherfoto/Montage: ©WiSiTiA/hh/Wikipedia)

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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