Tierarztfrust über praxisuntaugliche TBC-Test-Empfehlung

Die richtige Injektionsstelle für den optimalen TBC-Test? Theorie (links) und Praxis (rechts) in der Gegenüberstellung.Die richtige Injektionsstelle für den optimalen TBC-Test? Theorie (links) und Praxis (rechts) in der Gegenüberstellung. (Fotos – Theorie: Foto und Montage: © Wolfram Maginot – Praxis: © WiSiTiA/aw – Montage: WiSiTiA/hh)

Warum empfehlt ihr so etwas praxisuntaugliches? Die Frage stellen Praktiker an das Paul-Ehrlich- und das Friedrich-Loeffler-Institut. Gemeinsam haben beide eine Empfehlung zur Tuberkulin-Injektion beim Rind veröffentlicht. Doch die beschrieben Injektionsstelle ist – erstens – bei im Fressgitter fixierten Kühen kaum gefahrlos zu erreichen und – zweitens – eine typische „Scheuerstelle“ der Tiere, was falsch positive Befunde geradezu provoziert.

Ein Kommentar von Annegret Wagner

Das Gegenteil von gut gemacht ist gut gemeint. Die beiden Bundesinstitute wollten wohl mehr „Zuverlässigkeit“ in die TBC-Diagnostik bringen, die aktuell in den Hotspots am Alpenrand sehr umstritten ist. Die Bauern fürchten falsch positive Befunde und daraus resultierende Betriebssperren. Sie protestieren mit Testverweigerung und Klagen.

Die „korrekte intradermale Injektion“

Also widmen sich die Institute der „korrekten intradermalen Injektion“, beschreiben wie „die Injektionsnadel (…) schräg in einem kleinen Winkel zur Haut mit der Schliffkante zum Untersucher in die tieferen Hautschichten eingeführt werden (muss).“ Und dann folgen noch mehr Details (die Empfehlung im Wortlaut können Sie hier als PDF downloaden).
Soweit, so gut, so lobenswert und durchaus auch hilfreich, für Kollegen die erstmals in die flächendeckenden Tests eingebunden werden.
Doch dann schießen die Wissenschaftler komplett übers Ziel hinaus und definieren fast zentimetergenau die ab sofort korrekte Injektionsstelle – nur leider an einem völlig praxisuntauglichen Punkt.

Empfohlene Injektionsstelle für den Tuberkulintest beim Rind.

Empfohlene Injektionsstelle für den Tuberkulintest beim Rind. (Foto und Montage: © Wolfram Maginot, FLI)

Empfohlene Injektionsstelle für den Tuberkulintest beim Jungtier/Kalb.

Empfohlene Injektionsstelle für den Tuberkulintest beim Jungtier/Kalb. (Foto und Montage: © Wolfram Maginot, FLI)

Die Injektionsstelle in praxi: Wie soll der Tierarzt die empfohlene Stelle erreichen, ohne das Risiko einzugehen, bei Kopfbewegungen im Fressgitter eingeklemmt zu werden?

Die Injektionsstelle in praxi: Wie soll der Tierarzt die empfohlene Stelle erreichen, ohne das Risiko einzugehen, bei Kopfbewegungen im Fressgitter eingeklemmt zu werden? (Foto: © WiSiTiA/aw)

Injektionsstelle in praxi(2): Kuh in Anbindehaltung mit Halsrahmen – auch hier liegt die empfohlene Stelle im "Scheuerbereich" und ist schlecht zugänglich

Injektionsstelle in praxi(2): Kuh in Anbindehaltung mit Halsrahmen – auch hier liegt die empfohlene Stelle im „Scheuerbereich“ und ist schlecht zugänglich (Foto: ©WiSiTiA/aw)

Injektionsstelle zwischen erstem und mittlerem Nackendrittel

„In der Vergangenheit führten ungenaue Angaben bezüglich der zu wählenden Injektionsstelle bzw. -stellen zu Unsicherheiten bei der Interpretation der Ergebnisse der Tuberkulinisierung und deren Verwertbarkeit,“ begründen PEI/FLI ihren Vorstoß.
In der „Vergangenheit“ der hunderttausendfach erfolgreich durchgeführten TBC-Tests war der empfohlene Injektionsort lediglich mit „Hals oder Schulter“ beschrieben. Für die Gegenwart verorten die Institute die Stelle jetzt sehr präzise (siehe Fotos):

„Die Injektionsstelle für das Tuberkulin soll im Übergangsbereich zwischen dem ersten und mittleren Nackendrittel (in cranio-caudaler Richtung) liegen. Werden Geflügel- und Rindertuberkulin gleichzeitig injiziert, soll die Injektionsstelle für das aviäre Tuberkulin ca.10 cm unter der Kammlinie des Halses liegen (dorso-ventrale Richtung) und die für das bovine Tuberkulin weitere ca. 12,5 cm tiefer auf einer parallel zur Vorderkante des Schulterblattes/der Schulterlinie verlaufenden Linie.“

Praxisuntaugliche Empfehlung

Doch warum hat man wohl in der Vergangenheit insbesondere die Schulter gewählt? Weil sie sich aus ganz pragmatischen Gründen bewährt hat:

  • Sie ist in der Regel gut zugänglich, da die meisten Kühe für die Untersuchung im Fressgitter fixiert werden.
  • Sie ist gut zugänglich, wenn die Tiere in Halsanbindung/Halsrahmen gehalten werden.
  • Kühe in Laufställen ohne Fressgitter können nur in den Liegeboxen untersucht werden. Auch dann müssen die Tiere für eine Injektion in die Schulter nicht zusätzlich am Kopf fixiert werden.

Nichts davon trifft auf den jetzt wissenschaftlich empfohlenen Ort zu. Ein hübsches Halfter wie auf den Institutsfotos tragen in der Praxis die wenigsten Rinder. Weder in den als idyllische geltenden bayerischen Kleinhaltungen und schon gar nicht in den großen Laufställen  Und die Bauern werden – mit Verlaub gesagt – einen Teufel tun und ihre Kühe am Halfter für den Tierarzt in Position halten.

Fehldiagnosen jetzt erst recht vorprogrammiert

Und was noch viel schlimmer wiegt: Die empfohlene Injektionsstelle liegt ziemlich genau dort, wo die Tiere in den Ställen fixiert werden. Sei es im Fressgitter oder in Anbindehaltung / im Halsrahmen – was insbesondere in den bayerischen Regionen, die gerade ein TBC-Problem haben, noch weit häufiger anzutreffen ist (siehe Fotos). Wenn ein Rind sich darin scheuert, dann ziemlich genau an der jetzt „empfohlenen“ Teststelle. Damit sind falsch positive Schwellungen praktisch vorprogrammiert.

Was testunwillige Bauern daraus machen könn(t)en, beschreibt Dr. Siegfried Moder. Der Rinderpraktiker aus dem Allgäu, zugleich Vorsitzender des BTK-Ausschuss für Wiederkäuer und 1. Vorsitzender der bpt-Landesgruppe Bayern, befürchtet, dass Testgegner in Zukunft darauf bestehen, genau die vorgeschlagene Stelle zu wählen – nur um dann zweifelhafte/positive Ergebnisse mit dem Hinweis auf mechanische Hautirritationen anzuzweifeln. Eine Verbesserung im Hinblick auf die Befundbeurteilung sei durch die neue Empfehlung nicht zu erwarten – im Gegenteil.

„Fassungslose“ Praktiker

Wenn ich dann solche nett bebilderten Wissenschaftler-Ratschläge sehe, fühle ich mich (Jahrgang 66) uralt, ausgelaugt und würde am liebsten sofort meine Großtierpraxis schließen. Alle von mir befragten oberbayrischen Kollegen (und ich) haben durchweg gute Erfahrungen mit der Schulterinjektion gemacht – aktuell und auch in der Zeit vor 1997, als die Tests noch die Regel waren. Wir sind „fassungslos“:

Der Übergangsbereich zwischen erstem und mittlerem Nackendrittel? Bei Tieren die zu 95 Prozent am Hals fixiert sind, sich aber trotzdem noch bewegen können, sprich: Hals vor und zurück und hoch und runter? Und das im Fressgitter zwischen Metallstreben? Die Wahrscheinlichkeit, dass nach 20 getesteten Tieren der Rasierapparat, das Federkutimeter, die beiden Spritzen und meine zehn Finger allesamt noch in Takt sind, dürfte ziemlich genau bei null Prozent liegen. Außer: der Landwirt halftert jede Kuh einzeln an und nimmt sie in den Schwitzkasten – aber siehe oben.

Mehrarbeit provoziert mehr Widerstand gegen Tests

Bisher haben sich in erster Linie paranoide Spinner, die weder ein Virus von einem Bakterium, noch eine Impfung von einem Allergietest unterscheiden können, gegen die Tuberkulose-Tests gewehrt – fast immer aus ideologischen Gründen. Doch sollten wir Großtierpraktiker uns an die Empfehlung halten müssen – und die Bauern dazu verdonnern, ihre Tiere für uns einzeln festzuhalten – dann werden sämtliche Bauern Amok laufen. Allein im Oberallgäu wurden im letzten Jahr 72.000 Rinder getestet.

Ich frage mich daher, warum Menschen, die womöglich nie unter Praxisbedingungen Tuberkulose-Tests durchgeführt haben (mir ist noch nie eine Kuh mit Halfter im Stall begegnet), meinen solche Details definieren zu müssen. Warum fragt niemand uns Praktiker, die hinterher im Stall danach arbeiten müssen?

Solche „fachlichen“ Empfehlungen sind lediglich Wasser auf den Mühlen findiger Rechtsanwälte, die mit solchen „offiziellen“ Schriftstücken im Gepäck und zur Freude ihrer Klienten uns Praktiker und die Amtstierärzte schikanieren (siehe den Versuch mit den „sterile Kanülen“), um sich vor der Testpflicht und den Konsequenzen zu drücken. Dabei ist Tuberkulose eine Zoonose mit echtem Risiko für den Menschen. Da muss auch der ein oder andere Biobauer sein Weltbild   zum Wohle der Allgemeinheit hintanstellen.

Biete: Praxis-Praktikum mit TBC-Test

Vielleicht kann mir ja einer der fünf Verfasser die Praktikabilität der Halsmethode mal vor Ort demonstrieren. Im Angebot habe ich Anbindeställe mit Ketten und Halsrahmen sowie Laufställe mit und ohne Fressgitter. Und zusätzlich Kühe mit und ohne Hörner.

Beitragsfoto: Montage aus Bild (Theorie) von Wolfram Maginot (FLI) und (Praxis) WiSiTiA/aw
Die Instituts-Fotos von Wolfram Maginot (FLI) stammen – wie im Text verlinkt – von der Webseite des Paul-Ehrlich-Institutes)

 

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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