Kommentar: Sind eigentlich nur noch Irre unterwegs?

Der Facebook-Post ist schon älter, doch das Thema beschäftigt mich – und jetzt auch allen anderen Medien – immer wieder auf’s Neue: Anfang Januar kommt ein Rinderhalter bei einem tragischen Unfall in seinem Stall ums Leben. Die „gemeinnützige“ Tierschrechtsorganisation AnimalPeace veröffentlicht daraufhin das Pamphlet einer Veganer-Organisation. In dem wird der Bulle als „Held“ gefeiert, weil er seinen „Sklavenhalter“ angriff. Das ganze sammelt 152 „Facebook-Likes“. Sind eigentlich nur noch Irre unterwegs?

Ein Kommentar von Henrik Hofmann

Die Nachricht, dass in Paris die Redakteure eines Satiremagazins von Radikalen ermordet wurden, schockierte Europa. Seit dem trägt jeder „weltoffene“ Deutsche ein Schild vor sich her: Je Suis Charlie! Aber ich frage mich: Was wollen wir eigentlich damit sagen? Dass wir respektvoll, verständnisvoll, weltoffen sind? Dass wir die Lebenseinstellung anderer respektieren?

Radikale Ersatzreligionen

Wenn ich mich in unserer Gesellschaft so umsehe, habe ich da so meine Zweifel – und muss gar nicht erst Pegida bemühen. Aus der Mitte unseres Bürgertums wächst schon länger eine seltsame Ersatzreligion heran: radikale, vegane Tierrechtler. Sie sind nicht nur envogue, sondern inzwischen schon fast gesellschaftsfähig. Mit ihnen demonstrierten zuletzt wieder einmal intellektuelle Bildungsbürger und etablierte Verbände wie der BUND Seit an Seit gegen die grundsätzlich bösen konventionellen Landwirte – und gegen Bio gleich mit (siehe Fotos).

Fleisch ist Mord – die andere Seite der "Wir-haben-es-satt"-Demo in Berlin.

Fleisch ist Mord – die andere Seite der „Wir-haben-es-satt“-Demo in Berlin. (Foto: ©twitter/@frl_deere)

Auch Bio ist Gewalt an Tieren – Plakat auf der Berlin-Demo "Wir-haben-es-satt".

Auch Bio ist Gewalt an Tieren – Plakat auf der Berlin-Demo „Wir-haben-es-satt“. (Foto: © twitter/@frl_deere)

Mir klingen noch die Worte von Bauer Holti anlässlich der Berliner Bauerndemos „wir-haben-es-satt“ und „wir-machen-euch-satt“ in den Ohren: Er könne einige Forderungen der Anderen unterschreiben. Wolle aber eben nicht gemeinsam mit Veganern und radikalen Tierhaltungsgegnern demonstrieren.

Tierrechtler feiern den Tod eines Menschen

Und nun das im Netz: Tierhaltungsgegner, Veganer und Tierrechtler feiern gemeinsam den Tod eines Menschen!
Mit wem wir es zu tun haben, ist auf Facebook zu lesen:

„Tierrechter* zu sein heißt für mich, als Anwalt der anderen Tiere subjektiv und mit besten Wissen und Gewissen für ihre, und nur für ihre Interessen einzutreten. Die Berufsehre des Anwalts verpflichtet zur unbedingten Loyalität gegenüber ihrem Mandanten. Jedes Abweichen von dieser Position ist Kollaboration mit der Gegenseite. Es ist Mandantenverrat.“

Oder, wie AnimalPeace weiter schreibt:

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Kriegsschauplatz Tierhaltung

Dieses Pamphlet erinnert mich an gefährliche Loyalitätsbekundungen radikaler Terroristen, die sich als Freiheitskämpfer gerieren. Tierschutz und Engagement für Tierrechte verkommen zu einem Kriegsschauplatz. Tierhaltung per se sei Mord; die vegane Lebensweise der einzige Weg. Kommen Bauern ums Leben, freut sich die Szene – und sind es Tierärzte, dann auch.

In Baden-Württemberg hat letztes Jahr eine vorwiegend mit Tierschutzaufgaben betraute Amtstierärztin Selbstmord begangen, weil sie dem alltäglichen Druck nicht mehr gewachsen war.** In den USA wird die Tierärztin Shirly Koshi, die sich für eine Katze und gegen selbsternannte Tierschützer engagiert, von eben diesen „Tierschützern“ in den Praxisruin und in den Tod getrieben. Wie verräterisch ähnlich die Wortwahl der Jubelrufe der dortigen und der hiesigen Onlinekampagnen doch ist.

Selbst wenn ein Veterinäramtsmitarbeiter ermordet wird, gibt es nicht wenige lakonische Kommentare. Von wegen, die würden „ja sowieso nichts tun“. Von Anschlägen und Beschimpfungen, unter denen Reiter, Jäger, Zoobetreiber und Zirkusleute manchmal zu leiden haben, möchte ich erst gar nicht anfangen.

Das bedeutet nicht, dass man/ich alle diese Hobbys und Positionen von Tiernutzern gut finden muss. Doch Gewalt – auch verbale – ist eben niemals legitimes Mittel der Meinungsfreiheit, „geknechtete Wesen“ hin oder her. All die Menschen, die die Gemeinschaft mit Tieren mögen, lieben, respektieren, sollten aufwachen: Eine unheilige Allianz hat sich unter dem Deckmantel des „Tierrechts“ vereinigt und versucht den „Tierschutz“ zu okkupieren. 

* So steht es da: „Tierrechter“ – hat vllt. Herr Freud die Feder geführt?
** siehe Deutsches Tierärzteblatt, Dezember 2014, Seite 1724

Nachtrag: „Bauernschlaue Hassprediger“

Vorsicht mit Facebook-Likes – manchmal offenbaren die so belohnten ihr wahres Gesicht.

Vorsicht mit Facebook-Likes – manchmal offenbaren die so belohnten ihr wahres Gesicht. (Foto: ©screenshot animal-Peace-Facebook-Profil)

Der Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) e.V. – einer der Mitorganisatoren der Berlin-Demo „Wir-haben-es-satt“ – und die Kreisbauernschaft Oberbergischer Kreis haben gegen die Tierschutzorganisation Animal-Peace Strafanzeige erstattet – mit Zustimmung der Hinterbliebenen. Das aber hat bei den Tierrechtlern und Veganern nicht etwa zu Nachdenken ob der eigenen Wortwahl geführt, sondern zu einer wütenden Attacke auf die „bauernschlauen Hassprediger“. Dabei beruft sich die Veganerin Silke Ruthenberg auf die Presse- und Meinungsfreiheit und kündigt an, notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen:

„Wir haben mit keinem einzigen Wort den getöteten Bauern verhöhnt. Wer lesen kann, ist da klar im Vorteil. Wir freuen uns über den Aufstand eines Geknechteten. Nicht mehr. Nicht weniger. … Was ist falsch daran, sich zu freuen, wenn sich ein Opfer wehrt? Sie lassen sich doch sonst ohne Gegenwehr alles gefallen, was gegenüber Menschen ein Verbrechen wäre! Ist das etwa besser?“

Schuld an der Verbreitung dieser „Freude“ ist im übrigen nicht die Gruppe selbst, sondern:

„Unser Webauftritt wird von Veganern besucht und von Menschen, die sich für Tierrechte und für die vegane Ernährung interessieren. Nicht von Landwirten. Es ist offenkundig, dass dieser Artikel niemals in den Kenntnisbereich der Hinterbliebenen gelangt wäre, wenn nicht Aufwiegler am Werke wären.“

Weiterführende Links
Das Thema wird inzwischen bundesweit in vielen Medien diskutiert – hier eine Auswahl:
Spiegel-Online: Zweifelhafte Verehrung eines Stiers (27.1.2015)
Süddeutsche.de: Rinderwahnsinn: Spott über den Tod eines Landwirts (28.1.2015)
taz.de: Der Bauer stirbt, Veganer freuen sich (26.1.2015)
BILD.de: Tierschützer feiern Bullen (25.1.2015)
top-agrar: Strafanzeigen gegen Animal-Peace (28.1.2015)

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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