SmartVet: Dispensierrecht schadet Tierärzten, Tieren und Besitzern

Berufsverbände und Tierärzteschaft kämpfen engagiert um den Erhalt des Dispensierrechts. Die Argumente dafür sind gut – es nutzt sowohl Verbrauchern als auch Praxen. Doch Olaf Thamm, Chef des Kleintierpraxis-Franchise-Verbundes SmartVet, glaubt: Das ist nur eine Illusion! Das Dispensierrecht sollte besser weg.

„Die Pharmaindustrie redet den Tierärzten seit Jahren ein, sie würden mit dem Verkauf von Medikamenten Geld verdienen“, schreibt Thamm auf seiner Firmenseite.* Doch der Aufwand für den Tierarzt hinsichtlich Bestellung, Bevorratung, Lagerverwaltung, Beratung und Verkauf sei immens hoch, so dass unter dem Strich kaum etwas übrig bleibe.

„Gebe das Dispensierrecht gerne ab“

Der Tierarzt Thamm würde sich deshalb über den kompletten Verlust des Dispensierrechtes sogar freuen und nennt als „Vorteile“ für den Tierhalter:

  • Geringere Tierarztkosten
  • Deutlich geringere Medikamentenkosten bei Tieren
  • Bessere Verfügbarkeit der Medikamente, da in normalen Apotheken erhältlich
  • Bessere Medikamentenversorgung rund um die Uhr für das Tier durch Apotheken-Notdienst-Netz

„Wir würden gerne das Recht und damit auch die Pflicht der Versorgung mit Tiermedikamenten an die Apotheken abgeben,“ ist Thamms Fazit.

Medikamentenverkauf für Praxen unrentabel

Im Einzelnen sieht SmartVet für die Tierarztpraxen und Tierhalter praktisch nur Vorteile, wenn das Dispensierrecht fiele:

  • Tierärzte müssten nur noch Notfallmedikamente vorrätig haben, und keine eigene Hausapotheke mehr unterhalten.
  • Die Tiermedikamente seien dann in allen Apotheken sofort verfügbar.
  • Der Tierbesitzer könne preisgünstigere Generika auswählen.
  • Alle Apotheker seien für Dosierung und Anwendung von Medikamenten ausgebildet.
  • Es würde, wie bei Humanmedikamenten, eine professionelle Beratung in den Apotheken geben und die sei sogar – im Gegensatz zur tierärztlichen Beratung – kostenlos.
  • Der Tierbesitzer fände in dem Apotheker eine zusätzliche Ansprechperson hinsichtlich der Dosierung und Anwendung von Medikamenten. Er könne sich noch einmal explizit beraten lassen. Das mindere die Gefahr, dass der Besitzer durch nicht verstandene Medikamentenaufklärung beim Tierarzt, die Medikamente falsch einsetze.
  • Zudem habe der Tierbesitzer auch finanzielle Vorteile: Die Medikamente würden billiger werden, da die Verkaufspreise der Apotheken laut Apothekenabgabepreisverordnung an die Einkaufspreise geknüpft seien und diese größere Mengen einkaufen könnten.

Thamm beendet seinen Diskurs mit den Worten: „Lasst nicht zu, dass die Lobby der Pharmaindustrie durch Panikmache und ohne medizinische Grundlage weiter die Tierärzte manipuliert, an einem veraltetem Recht festzuhalten, das nur Schaden bringt, für Kleintierärzte, Tiere und Tierbesitzer.“

* Der Beitrag ist schon älter, ein Erscheinungsdatum ist nicht angegeben. Bei einer google-Suche zum „Dispensierrecht“ wird der Artikel sehr weit oben angezeigt und bekommt so als „Tierarztposition“ Bedeutung. Er nimmt Bezug auf eine Bundestagspetition aus 2012. Aber merke: Das Internet vergisst nicht!

wir-sind-tierarzt.de meint

Sorry, Herr Thamm, das ist Unsinn. Zumindest für meine Praxis kann ich sagen …

  • … professionellere Beratung durch Apotheker? – Nein, ich möchte nicht, dass ein Nichtmediziner womöglich meine Dosierungsempfehlungen ändert.
  • … Medikamente in allen Apotheken sofort verfügbar – mitnichten, schon heute müssen Sie für viele Humanmedikamente wiederkommen.
  • … billigere Medikamente? Warum? – Der Apotheker muss immer eine komplette Packung verkaufen. Viele Tierärzte geben gerade für Heimtiere einzelne Blister oder speziell auf den Bedarf zugeschnittene Mengen ab. Übrigens sind auch die Tierärzte an eine Preisverordnung und an Einkaufspreise gebunden. Zumindest nach oben: Kauft der Tierarzt günstig ein, muss er den Rabatt an seine Kunden weitergeben.
  • …  eine mögliche Marge von bis zu 25 Prozent empfinde ich persönlich auch nicht unbedingt als unrentabel. Wahrscheinlich wären viele Branche sogar glücklich über so einen Schnitt. Wenn ich da etwa an den Lebensmittelhandel denke! Reich wird man dadurch freilich nicht. Aber darum sollte es auch nicht gehen. Sondern darum, für unsere Patienten, das best Mögliche zu erreichen. Um schnell, sachgerecht und preisgünstig zu behandeln, brauchen wir das Dispensierecht.

Fazit: Vielleicht trifft all das, was Sie schreiben auf SmartVet-Praxen zu – aber dann sollten sie Qualifikation und Management einmal überdenken:-)

(Henrik Hofmann)

 

Weiterführende Links zum Thema Dispensierrecht

Warum das Dispensierrecht mehr Vor- als Nachteile hat, haben Bundestieräztekammer (hier) und der Bundesverband praktizierender Tierärzte (hier) aufgelistet.
Dem folgt in vielen Punkten ein vom Bundeslandwirtschaftsministerium in Auftrag gegebenes Fachgutachten.
Und auch ein Expertengespräch zum Dispensierrecht im Dezember in Berlin sieht deutlich mehr Vor- als Nachteile des tierärztlichen Dispensierrechtes.
Selbst die Apotheker haben wenig Interesse an der Übernahme des Tierarzneimittelverkaufes.

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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