Neues Antibiotikum: Teixobactin zerstört Zellwände

Es ist ein ewiger Wettlauf: Entwickeln Forscher antibiotisch wirksame Substanzen und setzen sie ein, so bilden die Bakterien bereits Resistenzen. Die gerade so umstrittenen und resistenzbedrohten „modernen Reservantibiotika“, sind fast 30 Jahre alt. Jetzt haben Forscher aus Bodenbakterien zwei neue Antibiotika entwickelt: Teixobactin, das Wände der Bakterienzellen zerstört und den „natürlichen“ Gyrasehemmer Cystobactamid.
(erstellt: 8:1.2015 / aktualisiert: 12.1.2014)

Auf der Suche nach neuen Antibiotika durchforsten Forscher weltweit die Natur – vom Ozeansediment über den Permafrostboden bis zu normalen Böden. Denn die Bakterien selbst produzieren ja Antibiotika, um sich einen Selektionsvorteil zu verschaffen. Die Wissenschaftler schauen sich von ihnen lediglich das Prinzip ab und entwickeln es weiter. Zwei Forscherteams sind dabei im Boden fündig geworden: „Elefhtheria terra“ heisst das Bakterium, welches das Antibiotikum Teixobactin produziert – entdeckt von einem internationalen Team, an dem auch die Universität Bonn beteiligt war.
Cystobactamide haben Helmholtz-Forscher ihre Stoffklasse genannt, deren Wirkungsweise gegen gram-negative Bakterien den Gyrasehemmern ähnelt (siehe letzter Absatz).

Wirksam gegen Clostridien und Mykobakterien

Das Teixobactin-Team um Kim Lewis von der Northeastern University in Moskau (Russland), Gautam Dantes von der Washington University, St. Louis, USA und Dr. Tanja Schneider, DZIF, Bonn hat es erfolgreich an Mäusen getestet. Da es ein Bodenbakterium ist, wirkt das daraus entwickelte Antibiotikum gegen den Milzbranderreger (Bacillus anthracis), gegen verschiedenste Clostridien (darunter Clostridium difficile) und sogar gegen Mykobakterien. Teixobactin hemmt die Synthese der Bakterienzellwand und zwar im Gegensatz zu Vancomycin nicht nur an einer sondern an vielen entscheidenden Stellen.

Keine Resistenzen im Unterdosierungs-Test

Dadurch macht es bakterielle Anpassungsstrategien (Resistenzen) nahezu unmöglich, ist sich Dr. Tanja Schneider vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) sicher.Bei Vancomycin hat es immerhin dreißig Jahre gedauert, bis sich die ersten Resistenzen gegen den Wirkstoff entwickelt haben. Die Forscher hoffen, dass es bei Teixobactin noch länger dauern wird. Das Team aus Moskau hielt zur Probe verschiedene Mikrobakterien mit niedrigen Mengen von Teixobactin für mehrere Wochen in Kulturen: Es entwickelten sich tatsächlich keine resistenten Stämme.

Wirkmechanismus: Lipid-Synthese verhindern

Dr. Schneider und Losee Ling (NovoBiotic Pharmaceuticals) haben der Wirkmechanismus von Teixobactin entschlüsselt: Es verhindert die Synthese von Lipid II und III. Bakterien brauchen Lipid II zum Aufbau der Zellwand und Lipid III sorgt dafür, dass bestehende Wände stabil bleiben. Teixobactin zerstört also Zellwände und verhindert, dass sie wieder aufgebaut werden. Da das neue Antibiotikum auf Teile von Lipid II und III wirkt, die bei vielen verschiedenen Bakterienarten gleich sind, ist es durchaus möglich, dass Bakterien nicht so weiteres die Lipide verändern können, was die Resistenzbildung erschwert.

Ist die Evolution am Ende doch schlauer?

Doch Ed Yong, Autor für National Geographic, bremst die allgemeine Euphorie über die Entdeckung mit einem Zitat des britischen Chemikers Lesley Orgel der folgende Regel formulierte: „Die Evolution ist schlauer als du“. Über kurz oder lang würden Bakterien auch Strategien gegen Teixobactin entwickeln, doch wenn es tatsächlich mehr als dreißig Jahre dauern wird, bleibe Zeit für weitere Forschung – der Wettlauf geht weiter.
Im nächsten Schritt wird die Verträglichkeit und Wirksamkeit des neuen Antibiotikums beim Menschen getestet, denn bisher wurde er nur an Mäusen ausprobiert.

Auch aus Bodenbakterien: natürlicher Gyrasehemmer Cystobactamide

Doch auch Forscher der Helmholtz-Institute im Saarland und Braunschweig  haben nützliche Bodenbakterien entdeckt. Dem Team um Prof. Dr. Rolf Müller (Saarland) ist es gelungen, aus im Boden lebenden Myxobakterien einen Stoff zu isolieren, der gegen gram-negative Bakterien wirkt. In Anlehnung an die Ausgangsbakterien Cystobacter sp. nennen sie die neue Stoffklasse Cystobactamide. Die Wirkungsweise gegen gram-negative Bakterien ähnelt der der Gyrasehemmer. Der Wirkstoff ist in der Lage, die beiden Zellmembranen der gram-negativen Bakterien – etwa von E. coli und Acinetobacter baumannii – zu durchdringen und anschließend dort als Gyrasehemmer zu fungieren. Das Prinzip ist nicht komplett neu, mehrere Antibiotika – vor allem als sogenannte „Reserveantibiotika“ eingestufte Quinolone basieren auf einer Gyrasehemmung. Doch die Quinolone wurden 1962 bei Versuchen im Labor mehr oder weniger zufällig gefunden. Als erster Wirkstoff dieser Klasse kam Nalidixinsäure zum Einsatz. Im weiteren Verlauf wurden die Fluorquinolone entwickelt, alle rein synthetisch. Müller und sein Team setzen hohe Erwartungen in ihren „natürlichen“ Gyrasehemmer und hoffen, dass Cystobactamide eine neue und effektive Waffe gegen Krankenhauskeime und andere gram-negative Bakterien werden.

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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