Von Wiener-, Münchener und anderen armen Würstchen

Erkennen Sie das schützenswerte Nürnberger Regionalwürstchen? Oder ist es ein billigeres norddeutsches Plagiat? Und Was steckt drin?Erkennen Sie das schützenswerte Nürnberger Regionalwürstchen? Oder ist es ein billigeres norddeutsches Plagiat? Und Was steckt drin? (Foto: ©WiSiTiA/jh)

Kommentar von Jörg Held

Manchmal kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen, wenn es Ministern und Politikern so richtig um die Wurst geht und sie via Pressemeldungs-Rundmail und Medien einen aufgeregten Schlagabtausch über Regionalität und schützenswerte Herkunftsbezeichnungen führen – also über Wiener oder Münchener Würstchen, über Spreewaldgurken und Bocksbeutel –, ohne deren hochoffiziellen Schutz (Zitat!) „die Lebensmittelqualität des europäischen Abendlandes auf dem Freihandelsaltar geopfert wird“ (o.k. das „europäische Abendland“ ist in Pegida-Zeiten jetzt von mir eingefügt, aber der „Lebensmittelopferaltar“ ist echt).
(update: 5.1.2015 – 23:30)

Das EU-US-Freihandelsabkommen TTIP enthält wahrlich wichtigere Baustellen* als die Göttinger Stracke oder die Lüneburger Heidekartoffeln – zumal es noch nicht mal wirklich um letztere geht, denn deren Herkunft liesse sich ja geografisch recht eindeutig verorten.
Europa – und auch Deutschland – hat aber ansonsten ein veritables Problem mit seinen regionalen Spezialitäten, weil Ortsnamen und Regionen munter miss-, ge- und verbraucht werden: Verorten Sie doch mal die Schwarzwälder Kirschtorte. Oder das Wiener Würstchen. Es kommt mitnichten aus Wien und die Münchener Weißwurst definitiv auch nicht aus München (dort sind die rohstoffliefernden Tierbestände doch recht gering). Der Rohstoff für letztere Wurst „stammt“ mit etwas Glück also vielleicht aus Bayern, sollte ergo besser „Bayerische Weißwurst“ heißen. Der Emmentaler Käse reift keineswegs allein im Emmental … und so weiter und so fort.

Gesucht: Herkunftsdefinitionen, die den Namen verdienen

Gesucht sind also regionale Herkunftsdefinitionen, die ihren Namen auch wirklich verdienen. In unserem Artikel über den grausigen Unfall eines Schweinetransporters auf der A 45 waren 100-Kilo-Schweine aus Vechta auf dem Weg nach Italien, um dort nach Schlachtung zu EU-geschütztem „Parma-Schinken“ zu reifen. Jetzt erklären sie mal einem Amerikaner, warum das ein regional unbedingt schützenswertes italienisches Produkt sei?

Parma-Schinken-Schweine aus Vechta

Wenn ich also den viel diskutierten Spiegel-Artikel und die Ministeräußerung zur nicht so recht schützenswerten Wurst richtig gelesen habe, soll Europa – und das halte ich persönlich durchaus auch für sinnvoll – seine vielfältigen „Spezialitäten-Regeln“ (gekennzeichnet durch 2.000 Label und Siegel und zahlreiche individuelle Auslobungen – darunter aber nur 78 deutsche Regio-Lebensmittel die nach Prüfung durch die EU-Kommission überhaupt schützenswert wären) erst mal überprüfen. Und dann sicherstellen, dass eine regionale Spezialität auch (vollständig oder zumindest mehrheitlich und das meint nicht zu 50,1 Prozent) in der beworbenen Region erzeugt, hergestellt und verarbeitet wird. Die dafür geltenden Regeln sind klar und unumstösslich zu definieren. Momentan sind sie eben nicht wirklich glaubwürdig (s.u.):
Muss ein Schwein, dass zu geschütztem Parma-Schinken werden soll, sechs Monate in dieser Region in Italien aufgezogen worden sein (nein!) oder reicht es, das Schwein aus Vechta gen Parma zu karren, dort noch ein paar Tage auszumästen und dann zu schlachten, damit der Schinken dann vor Ort zehn bis zwölf Monate an der Luft trocknet (ja!)? Und was ist eigentlich der „wertigere“ und schützenswerte Anteil am Produktionsprozeß, das Aufziehen und Mästen oder das Reifen? Oder könnte der Schinken nicht auch gleich in Vechta an der Luft trocknen ? Oder in Florida? Oder weiß der Geier wo?

Blödsinn: Spreewaldgurken aus den Everglades

Erkennen Sie das schützenswerte Nürnberger Regionalwürstchen? Oder ist es ein billigeres norddeutsches Plagiat? Und Was steckt drin?

Erkennen Sie das schützenswerte Nürnberger Regionalwürstchen? Oder ist es ein billigeres norddeutsches Plagiat? Und was steckt drin? (Foto: ©WiSiTiA/jh)

Wenn der Grüne Regionale-Landwirtschaftsminister Christian Meyer jetzt also wutentbrannt mit einer scharfen Pressemeldung gewappnet für seine Lüneburger-Heide-Kartoffel gegen den, den Wurstschutz aufheben wollenden schwarzen Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt ins Feld reitet, dann ist das parteipolitische Spiegelfechterei – genau wie es Medienhysterie ist, wenn der Bayerische Rundfunk vor Spreewaldgurken aus den Everglades warnt. Ein Naturprodukt, dass schlicht auf einem geografisch eindeutig zu bestimmenden „Feld“ wächst, liesse sich leicht und berechtigt schützen – käme es denn wirklich zu 100 Prozent nur aus dem Spreewald.
Alles andere, was aus zugelieferten Rohstoffen, die in gleicher Qualität an beliebigen Orten der Welt (vor)produziert, dann aber nach einem „lokalen/regionalen“ Rezept oder Verfahren hergestellt oder abgefüllt wird, sollte sich meiner Meinung nach einem strengen Bewertungs- und Gewichtungsprozess unterwerfen müssen, bevor es überhaupt „regional“ geadelt und geschützt werden darf. Dann gibt es eben Gouda aus Montana und echten „holländischen Gouda“ … und Rostbratwürstchen und eben echte „Nürnberger Rostbratwürstchen“ (wobei Uli Hoeneß erst mal nachweisen soll, wie viel „Nürnberg“ in seinen Würstchen steckt – momentan darf es auch dänisches Schwein sein) … und so geht es fröhlich weiter.

Herkunftslabel COOL gescheitert

Mir – und anscheinend auch den Amerikanern – wäre lieber, wenn auf einem Produkt grundsätzlich einfach nur klar drauf stünde, wo her kommt was drin ist. Nur: Mit dieser Forderung sind die jetzt so bösen Amis schon öfter ganz COOL (mit dem „Country Of Origin Labelling“) vor der Welthandelsorganisation (WTO) gescheitert. Das würde, so die WTO im aktuellen Streit, kanadisches oder mexikanisches Schweinfleisch „diskriminieren“ – da frage ich mich jetzt, ob die mexikanischen Schweine womöglich dunkler coloriert sind?

Und ja: Ich weiß um die Gentechnik-Kennzeichnungs-Debatte – aber das wäre jetzt noch ein völlig neu zu öffnendes Fass, dass ich Ihnen und mir hier erspare.

Politik: Allen Recht und niemand wehe

Fazit: Politik kann es irgendwie also keinem Recht machen. Ich brat mir jetzt erstmal ein paar kleine Rostbratwürstchen, fotografiere diese und frage sie danach in diesem Beitrag, ob sie erkennen können, ob es „Nürnberger“ waren. Und ich verspreche auch zu erwähnen, ob sie fränkisch echt oder eher norddeutsch verfälscht geschmeckt haben (Nachtrag nach dem Speisen: ich weiß es einfach nicht – Entschuldigung – aber es stammte aus Böklund) … und dann gehe ich ein „identitätsstiftendes“ Kölsch trinken, denn das ist auch so ein regional schützenswertes „hohes Gut, das hart erarbeitet wurde“ (Dieses Zitat von Brandenburgs Landwirtschaftsminister Jörg Vogelsänger zur Wurst-Debatte habe ich jetzt mal auf die hiesige regionale Spezialität gemünzt).

P.S. – Nachtrag: Es ist ja eigentlich alles noch viel schlimmer als oben beschrieben: EU-Herkunftsangaben unterscheiden nämlich zwischen „g.U.“ und „g.g.A.“.

  • „g.U.“ bedeutet „geschützte Ursprungsbezeichnung“ und meint: Produktion, Verarbeitung und Herstellung müssen in einem bestimmten Gebiet erfolgen. Das also wäre ein echtes regionales Produkt, wenn nicht – keine Regel ohne Ausnahme – das tierische Grunderzeugnis woanders herstammen dürfte: beim italienischen Parma-Schinken also das Schwein aus Vechta.
  • „g.g.A.“ meint „geschützte geografische Angabe“ und dabei muss nur ein Schritt (sic!) der dreiteiligen Produktionskette (Erzeugung/Verarbeitung/Herstellung) in der Region erfolgen. Für den „Hessischen Apfelwein“ dürfen die Äpfel also auch aus anderen Ländern kommen, Neuseeland vielleicht?
  • Völlig obskur ist dann die „g.t.s“, die „garantiert traditionelle Spezialität“. Die garantiert letztlich nur eine traditionelle Zusammensetzung und Herstellung des Lebensmittels – die allerdings an jedem beliebigen Ort der Welt erfolgen kann – das dürfte in etwa die traditionelle Schwarzwälder Kirschtorte im Hotel in Abu Dhabi sein.

Ein Schelm, wer da nicht eher an das geschützte „hohe Gut der hart erarbeiteten“, geldwerten Marketingvorteile durch Namensschutz denkt, denn an wahrhaftige Regionalprodukte. Mit verbraucherschützender Lebensmittelsicherheit im Sinne von Qualität hat die ganz Debatte nun definitiv überhaupt nix zu tun.

Quelle: www.lebensmittelklarheit.de
Grundlage allen Schutzes ist die EU Verordnung 2081/92

*Was im übrigen an TTIP wirklich gefährlich ist, sind geheime Schiedsgerichte zu Schadenersatzleistungen bei politischen Investitionsbeschränkungen.

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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