Von Opfern, Tätern, heuchelnden Konsumenten und der Macht des Marktes

Ein „Hühnerbaron“ und ein „Tierschützer“ führen in der FAZ vom 12.12.2014 einen spannenden Dialog: Der Tierschützer hat nichts gegen Massentierhaltung und der Hühnerproduzent wäre glücklich mit Handelsschranken bei höheren Tierwohlvorschriften.

(update 13.12.2014) Wiesenhof hat inzwischen das Interview im Wortlaut auf seiner Hompage veröffentlicht – hier die aus der Sicht von wir-sind-tierarzt.de wichtigsten Passagen aus dem Gespräch zwischen Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschuztbundes und Paul Wesjohann, Chef des Wiesenhof-Konzerns. Die Fragen stellte FAZ-Redakteur Jan Grossarth. Die FAZ-Ausgabe als e-paper erhalten Sie hier für 1,60 €.

Streitfrage „Massentierhaltung“

Frage: Herr Wesjohan, hat die Massentierhaltung in Deutschland Zukunft? 

Wesjohann: Ich hoffe es. Denn wir haben nur Massentierhaltung in Deutschland. Es gibt große Massen und kleinere Massen. Und wir haben hier übrigens auch ein im Vergleich mit dem Ausland sehr hohes Qualitätsniveau.

Schröder: Widerspruch! In Deutschland sind die Produkte hygienisch, aber Tiergesundheit allein ist es nicht. Denn es geht ihnen nicht gut.

Inwiefern?

Schröder: Die Haltung ist nicht artgerecht, die Tiere können natürliche Bedürfnisse nicht ausleben, und die Rassen wurden zu Qualzuchten hochgezüchtet.

Frage an den Tierschutzpräsident Thomas Schröder: Sind Sie auch gegen die Massentierhaltung, wie etwa die Grünen?

Schröder: Nein. Masse ist nicht das entscheidende Kriterium. Je mehr Tiere gehalten werden, desto kritischer wird es. Und zwar, weil die Beobachtung des einzelnen Tiers im Stall nicht mehr vernünftig möglich ist. Man muss alles vom Tier her hinterfragen: Was hat es für natürliche Bedürfnisse? Aber man kann auch große Bestände gut managen. Ich kritisiere die industriell geprägte Intensivhaltung mit einer Ausbeutung der Tiere.

Der Konsument als Heuchler

Frage zum sogenannten „consumer-citizen-gap“ – der Verbraucher fordert hohe Tierwohlstandards, kauft aber am liebsten Sonderangebote:
Ist der Verbraucher ein Opfer, oder ist er nicht auch ein Heuchler?

Schröder: Er ist beides. Er ist Opfer und Täter – ich sage Täter, nicht nur Heuchler. Er hat auch eine enorme Wissenslücke. Zehntausende Hühner im Stall, das ist Standard. Das ist aber kaum jemandem bewusst.

Herr Wesjohann, ist der Wiesenhof ein Täter, ein Heuchler, ein Opfer – oder ein Dienstleister, der legitime Ansprüche von Kunden bedient?

Wesjohann: Dienstleister. Der Markt sucht sich seinen Preis. Unser Biohähnchen ist dreimal so teuer wie ein normales. Die langsam wachsende Rasse hat weniger Brustanteil, weniger Fleisch. Eine Familie mit zwei Kindern braucht zwei Biohühner, um satt zu werden, das kostet pro Biohuhn rund 10 Euro. Für eine normale Familie ist das viel. Und wenn sich Verbraucher so orientieren, dass sie ihr Geld lieber für ein neues Auto oder ein iPhone ausgeben, ist das ihre Freiheit. Wir müssen sie dazu kriegen, dass sie mehr für das Essen ausgeben.

Frage: Herr Schröder, führen Sie eine elitäre Diskussion? Ein Huhn für zwei Euro – ist das nicht eine soziale Wohltat?

Schröder: Diesen zynischen, bösen Vorwurf weise ich zurück. Der Vorwurf, wenn wir Tierschutz machen, gehe das gegen Sozialhilfeempfänger, ist idiotisch. Er lenkt ab von der Preistreiberei der Fleischbranche, die derzeit vor allem Aldi betreibt. Sie senken die Fleischpreise, statt das Bewusstsein für Tierleid zu schärfen. So erhöhen sie die Preisabstände zu Fleisch aus artgerechter Haltung weiter. Andererseits tut Aldi so, als würden sie beim Tierschutz vorn mitmischen. Das ist zumindest scheinheilig. Das Grundproblem ist: Das Fleisch ist zu billig.

Frage: Macht Aldi einen Fehler, Herr Wesjohann?

Wesjohann: Man kann den Markt nun mal nicht außer Kraft setzen. Wir sind in einer freien Welt.

Regeln des Gesetzgebers

Frage: Der Hofreiter Toni von den Grünen sagt, wir müssen Sojaimport und Massentierhaltung abschaffen, um wieder mit gutem Gewissen ins „Wurschtbrot“ beißen zu dürfen, Kann das gutgehen?

Wesjohann: Man kann es nicht erzwingen. Verbote der Haltung führen dazu, dass preiswertes Fleisch aus dem Ausland kommt, wo es den Tieren schlechter geht. Wenn man nicht die Grenzen abriegeln will, wird es so kommen. Wir müssen die Tierhaltung hier auf hohem Niveau erhalten und entwickeln. Oder wir machen die Grenzen dicht. Ich fände das super!

Ist dies Ihr Ernst?

Wesjohann: Ja, das wäre super aus meiner Sicht! Dann kriegen wir als Unternehmen endlich auch höhere Preise. Im Ernst: Wenn Sie mit Politikern nach Amerika fahren und Ställe anschauen, dann gehen auch denen dort die Augen auf, wie gut es bei uns ist. Es gibt da keine Salmonellenvermeidungsstrategie. Die Hühner werden ausgestallt, und auf demselben Mist neue eingestallt, das ganze Jahr über. Bei uns wird zwischendrin desinfiziert. Es ist alles billiger, was die in Amerika machen. Die desinfizieren einfach in der Schlachterei mit Chlor – aber haben auch nach der Behandlung ein höheres Belastungsniveau mit Salmonellen, als wir hier in der ganzen Prozesskette. Das Handelsabkommen TTIP wird den Wettbewerb verschärfen.

Schröder: Das ist doch alles Ablenkung! Ich glaube, dass wir ein politisches Diktat, also eine schärfere Gesetzgebung, brauchen an vielen Stellen. Oder eines vom Handel. Ich weiß nicht mal, ob eine Mehrheit der Verbraucher das Verbot der Käfighaltung von Hennen wollte. Der Handel hat es entschieden, weil er ethisch unter Druck stand. Heute kaufen die meisten selbstverständlich Eier mindestens aus Bodenhaltung.

Antibiotika in der Tiermast

Moderation: Von 2015 an will Wiesenhof die Hähnchen ohne Futter, das gentechnisch veränderte Pflanzen enthält, mästen. Aber Achtung vor den Keimen! Da gibt es etwa multiresistente MRSA.

Wesjohann: Resistenzen gibt es schon seit jeher. Wir haben in der Tierhaltung daran sicherlich einen Anteil, aber der Hauptanteil kommt aus der Humanmedizin. Es geht nun darum, Lösungen zu finden, und nicht Schuldige.

Schröder: Die Tierhaltung muss als Ziel und Anspruch haben, auf Antibiotika zu verzichten! Die Medikamentenfrage ist eine Systemfrage. …  Wenn ich im Tiermastsystem – ich sage nie Stall, das wäre eine Beschönigung – nicht nur ausnahmsweise Antibiotikagaben brauche, zeigt das, dass das System die Tiergesundheit überfordert. Wenn einzelne kranke Tiere mit Antibiotika behandelt werden, ist das richtig. Wenn sie flächendeckend eingesetzt werden, ist es verkehrt.

Wesjohann: Es ist auch unser Ansatz, dass wir den Antibiotikaeinsatz so gering wie möglich halten müssen. 50 bis 60 Prozent unserer Tiere (Hähnchen – Anmerk. d. Red.) werden heute nicht mehr behandelt. Unser nächstes Ziel ist es, den Anteil unbehandelter Tiere bis 2017 auf 70 Prozent zu erhöhen. Weil schon in der Elterntierhaltung Tophygiene läuft. Die Eier in der Brüterei werden einer Oberflächenbehandlung unterzogen. Ich würde lieber in einer unserer Brütereien operiert werden als in einem deutschen Krankenhaus! Wenn ein Landwirt die Hygieneregeln einhält und richtig lüftet, kann er ein Tier auch ohne Antibiotika aufziehen.

Machtfrage im System

Frage: Wer hat in „dem System“ überhaupt die Macht, auf Basis multifaktoriellen Denkens zu handeln?

Schröder: Eine schwierige Frage! Den Intellekt haben wir, die Macht aber nicht. Die hat der Handel, die Produzenten und der Gesetzgeber.

Herr Wesjohann, mangelt es in Ihrem Unternehmen an Intelligenz?

Wesjohann: Also, ich bin bescheiden. Ich beanspruche nicht für mich, die Weisheit mit Löffeln gegessen zu haben. Wenn wir alles falsch gemacht hätten, wäre unser Unternehmen nicht über 80 Jahre existent. Wir kennen die Zusammenhänge. Heute sterben zwischen 2 und 3 Prozent der Hähnchen im Stall, früher, vor 40 Jahren, war es jedes zweite. Wichtig ist: Der Verbraucher muss alles wissen und bereit sein, für bessere Tierhaltung mehr Geld zu zahlen.

Das vollständige Streitgespräch finden Sie im FAZ-Wirtschaftsteil der Ausgabe vom 12.12.2014 – Seite 22 – es lohnt zu lesen (e-paper hier) oder auf der Firmenwebseite von Wiesenhof

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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